Das Schweigen des Lemming
…»
Ein Schelm, Riedmüller. Er kann sich das Grinsen nicht mehr verkneifen; breit und satt liegt es nun auf seinem rosigen Gesicht.
«Obwohl er selbst ein totaler Banause ist», spricht der Lemming den Satz zu Ende.
«Schau, Wallisch: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Der Pokorny ist Schnaps und der Hörtnagl ist Dienst. Warum er mir damals das Bild abgekauft hat, kann ich höchstens vermuten, aber von Vermutungen werd ich nicht satt. Und mein holdes Weib auch nicht, und mein Bub schon gar nicht …»
«Er hat auf diese Art versucht, seinen Sohn zu protegieren … Stimmt’s?»
«Das hast
du
gesagt …»
«Sein Sohn war einer von deinen Studenten …»
«Prost, Wallisch.»
«Und damals, bei den Pinguinen in Schönbrunn, war der junge Hörtnagl mit von der Partie … Und hat so den Pokorny kennen gelernt …»
«Noch einmal: Prost.»
«Prost, Riedmüller … Und halleluja!»
Endlich ein Treffer, endlich ein Stein, der sich an die anderen fügt, ein Lichtschein im Dunkel des rieslinggeschwängerten Hirnlabyrinths. Mit einem Mal ist die Verbindung zwischen Pokorny und Hörtnagl hergestellt, die Brücke zwischen Bürgerschreck und Bourgeois geschlagen … Bleibt nur noch die Frage, warum Jochen Hörtnagl ihn, den Lemming, über diese Brücke hetzt, um den flüchtigen Bekannten seines Sohnes einzufangen.
«Weißt du, wo ich den jungen Hörtnagl finden kann?»
«Aber sicher, Wallisch. Sicher weiß ich das …»
«Und wo?»
«Ganz einfach: Mit einigen von meinen damaligen Schülern ist der Pokorny noch immer befreundet. Sie betrachten ihn als eine Art väterlichen Freund, als einen geistigen Mentor sozusagen. Jetzt ist der Hörtnagl junior im Grund ein netter Bursch, nur … ein bisserl farblos vielleicht, ein bisserl unausgegoren. Kein Wunder: mächtiger Vater, starke Hand. Wo soll man da schon hin mit seinen eigenen Ideen? Natürlich will er seinem Alten beweisen, dass er auch ohne ihn was zusammenbringt. Auflehnung, verstehst du, Wallisch, Rebellion und Initiation! Man muss seinen Vater entmannen, um selbst zum Mann zu werden! Und dann seine Mutter schänden! Aber der junge Herr Florian hat sich halt nie so recht getraut. Das Einzige, was er durchgesetzt hat, war sein Kunststudium. Und auch da …»
«Auch da hat der Herr Kommerzienrat wohl ein bisserl mitgeholfen», nimmt der Lemming Riedmüller das Wort aus dem Mund. «Hat der Akademie die eine oder andere großzügige Spende zukommen lassen, um seinem Filius einen Studienplatz zu sichern. Und hat dem einen oder anderen Herrn Lehrbeauftragten das eine oder andere Gemälde abgekauft …»
«Prost, Wallisch, Prost … Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Der kleine Hörtnagl hat sofort einen Narren am Pokorny gefressen, wahrscheinlich auch deshalb, weil unser Freund so ziemlich das genaue Gegenteil von seinem Vater verkörpert. Und der Pokorny in seiner unendlich anarchischen Güte hat diese Sympathie erwidert. Vielleicht hat ihn der blasse Bub an seine Pinguine erinnert: noch so einer, der will und nicht kann und nur dasteht und träumt. Vielleicht wollt er aber auch dem Senior eins auswischen, hier und da eine kleine, heilsame Korrektur an seiner Erziehung anbringen … Aber bitte, egal, scheiß auf den ganzen psychologischen Diskurs; Tatsache ist, dass der Pokorny ein paar von den Studenten wiedergetroffen hat. Und dass er sie … Wie soll man sagen … Also dass er sie möglicherweise auch weltanschaulich ein bisserl beeinflusst hat. Und einer von denen ist eben der kleine Hörtnagl, Genius hin oder her. Da kann man behaupten, was man will, in den letzten zwei Jahren hat sich der Bub so richtig gemausert: Ein wahrer Picasso ist er geworden … auf der Klarinette …»
«Auf der … Klarinette?»
«Sag ich doch, Wallisch. Du wolltest ja wissen, wo du ihn finden kannst. In der Galerie
Konodul
, bei meiner Vernissage morgen Abend. Du bist natürlich herzlich eingeladen, dich am Buffet zu bedienen und dafür wieder kein Bild von mir zu kaufen. Und falls der Pokorny morgen aufspielt, was ich fest annehme, dann kannst auch den Hörtnaglbuben lärmen hören: Er ist einer der krakeelenden Wurmfortsätze in Pokornys Klangkörper.»
10
Ein sanfter Südwind umfächelt die Dächer von Wien mit herb-adriatischen Düften. Streicht sanft über das flirrende Häusermeer, zupft zaghaft an Drähtenund Leitungen, flötet auf Giebeln und Firsten, haucht in die steinernen Orgelpfeifen der
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