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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Päderastie natürlich. Weil er so junge Mädchen als Aktmodelle gehabt hat. Die ehrenwerten Bürger von Neulengbach sind natürlich gleich zum Kadi gelaufen, sobald sie erfahren haben, dass der zugereiste Herr so gern die kleinen rosa Mösen ihrer Töchter zeichnet. Haben ihn wegen Missbrauchs von Minderjährigen angezeigt. Immerhin: Für drei Wochen Gefängnis wegen Verbreitung pornographischer Zeichnungen hat es gereicht. Er war halt ein bisserl zu heimatverbunden, der Schiele. Wenn er’s gemacht hätte wie der Gauguin und nach Tahiti gefahren wär, dann hätt er sich vollkommen straffrei in die frischesten Südseepflänzchen versenken können. Schöpferisch, geistig und körperlich, versteht sich.
    Aber egal. Die Kunst vom Schiele ist seit damals mehr als salonfähig geworden. Schon eher tresorfähig, würde ich sagen: Ende der Neunziger ist eines seiner Bilder für mehr als drei Millionen Euro über den Auktionstisch gewandert. Nur damit du dir einen Begriff machen kannst   …
    Es muss jetzt zirka eineinhalb Jahre her sein, da haben die Herren Honoratioren von der Akademie eine Sonderausstellung ins Leben gerufen. Schließlich hat der Schiele ja seinerzeit dort studiert. Mit sechzehn ist er hingekommen, mit achtzehn hat er den Hut genommen: Zwei Jahre verstaubter Lehrbetrieb haben ihm gereicht. Aber erfolgreiche Söhne wollen selbstverständlich heimgeholt werden – am besten posthum, wenn sie sich nicht mehr wehren können. Und ganz genau das hat das Akademiekollegium getan.
    Am Tag vor der Eröffnung sind in der Aula die Originale aufgehängt worden. Es war ein ziemliches Tohuwabohu, man kann sich das vorstellen. Dass die Türen nicht ständig versperrt waren, versteht sich von selbst: Die Bilder müssen hineingebracht werden, die Schutzkartons wieder hinaus, die Hausarbeiter laufen hin und her, hier fehlt noch ein Maßband, dort ein Schraubenzieher, einer läuft Wurstsemmeln holen   … Nicht, dass man nicht auf die Gemälde aufgepasst hätte. Aber wie du sehen wirst, war das am Ende gar nicht der springende Punkt.
    Natürlich sind auch immer wieder Studenten hereingeschneit, um sich den ganzen Trubel anzuschauen. Man wollte das gar nicht verhindern, du weißt schon, didaktische Maßnahme: Die jungen Damen und Herren sollten sich von der erregenden Atmosphäre inspirieren lassen, die vor so einer großen Ausstellung herrscht. Ein Blick hinter die Kulissen; mit Schiele auf Du und Du gewissermaßen.
    Und da sind die vier ins Spiel gekommen. Der Bär, der Adler, der Floh und die Löwin   …
    Du musst wissen, dass der Floh keine ausgesprochene Koryphäe war, was eigenständige Ideen anbelangt. Er war ein akkurater Techniker, das ja, das hat er sich angelernt, fleißig wie er war. Fleißig und geduldig, schon mehr eine Biene als ein Floh. Und deshalb hat er auch eines hervorragend können, nämlich die Bilder von anderen zu kopieren. Er hat sich also schon ein paar Tage vorher hingesetzt und hat einen Schiele aufs Papier gezaubert, die kolorierte Skizze von einem dieser typischen jungen Mädchen, lasziv verkrümmt, mit hochgeschobenem Rock, dass man ihr bis in den Uterus schauen hat können. Danach hat er’s gerahmt, das Blatt, gemeinsam mit dem Bären, der damals auch die Idee zu der ganzen Aktion gehabt hat.
    Und dann, am Tag vor der Ausstellung, spaziert die Löwin mir nichts, dir nichts in die Aula und befestigt die Kopie aneiner der Stellwände. Keiner hat was gemerkt; der Bär und der Adler haben die Arbeiter abgelenkt, sie irgendwie in ein Gespräch verwickelt, und schon war’s geschehen: Die Fälschung vom Floh ist zwischen den Originalen vom Schiele gehängt. Auf den ersten Blick nicht zu erkennen, vollkommen lupenrein.
    Am nächsten Nachmittag hat das Akademiekollegium noch eine Begehung gemacht, während rundherum die letzten Handgriffe erledigt worden sind: zusammenkehren, Tische aufstellen, Buffet herrichten. Und den roten Teppich saugen selbstverständlich. Aber am Abend, wie dann die Maßschuhe der Herren Politiker über den Läufer getrampelt sind, hat noch immer keiner was von dem Schwindel gemerkt.
    Österreich ist ja seit einigen Jahren das einzige Land Europas, in dem es kein Kunstministerium mehr gibt. Das hat sogar noch der letzte rote Bundeskanzler abgeschafft, der aber in seinem kleinen, engen Managerherzen sowieso schon ein Schwarzer gewesen ist. Er hat also kurz vor dem Machtwechsel ein kulturelles Klima geschaffen, in dem sich sein Nachfolger endgültig auf die Kulturschüssel

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