Das Schweigen des Lemming
zu und zieht ihn mit sich in den kühlen Schatten des Gastgartens.
«Lang nicht gesehen, meine Herren … Aber bitte, nehmts doch Platz. Was kann ich für euch tun?»
Walla setzt sich zuerst. Starrt den Lemming blöde an und meint: «Tun? Was willst denn ’leicht tun für uns, Herr … Exkommissar?»
«Ich hab gehofft, das könnts ihr mir sagen … Ich bin’s ja nicht, der euch seit Tagen nachspioniert …»
«Nach … Geh, hör mir auf!» Der schnelle Finger bricht in heiseres Lachen aus, entblößt seine Zähne, die an eine oft bespielte und selten gereinigte Klaviatur erinnern: Das fleckige Elfenbeinbeige des Gebisses wird nur vom Schwarz seiner Lücken durchbrochen; das C und das D, die Schneidezähne nämlich, sind zum rabenschwarzen Cis und Dis mutiert.
«Hast des g’hört, Schurli? Nachspionieren …»
Der Angesprochene wendet sich nun auch dem Lemming zu und versucht ein Lächeln. Es fällt mehr als fadenscheinig aus – kein Wunder: Jetzt erst bemerkt der Lemming, dass sich ein langer Riss über Pekareks linken Backenknochen zieht,eine frische Wunde, bläulich verfärbt und notdürftig genäht. «Bist gegen die Kastentür g’laufen?», fragt er den Schmierer, der sich nun auch an den Tisch setzt und versucht, mit verächtlichem Fingerschnippen den Kellner herbeizurufen. Kastentür, so pflegen die Strichkatzen, also die Prostituierten, ihre Zuhälter zu entschuldigen, wenn deren teils rigorose Erziehungsmethoden sichtbare Spuren hinterlassen.
«Balkontür», meint Pekarek trocken und fügt, um einiges lauter, hinzu: «Wirtshaus! A Krügel, aber fix!»
«Zwa!», bellt Walla dem Kellner entgegen, der gerade aus dem Lokal tritt, um dem Lemming seinen Mokka zu servieren.
«Danke, Gerhard … Und zwei Krügerln bitte …» Der Lemming weiß, dass der Kellner des
Kairo
auf Worte wie
fix
oder
dalli
allergisch reagiert. Wenn schon Streit, dann will er ihn gefälligst selbst beginnen.
«Also … Sag schon, Walla, aber dalli: Warum fahrts ihr mir hinterher?»
Walla zündet sich nun auch eine Zigarette an. Inhaliert und überlegt. Beugt sich dann vor, die Augen zu glitzernden Schlitzen verengt. «Das Fragenstellen», zischt er, «kannst dir gleich einmal sonst wohin stecken, du Weh. Dass du als Kieberer längst ausg’schissen hast, wissen wir genauso gut wie du.»
Er lehnt sich – ganz offensichtlich zufrieden mit seiner Replik – in den Sessel zurück und grinst den Lemming an.
«Genau», setzt Pekarek nach und blickt zu seinem Kollegen, wie um nach Bestätigung zu heischen, «genau. Du kannst uns schon lang nix mehr anhängen …»
«Verstehe … Verstehe, meine Herren. Wenn ihr nicht mit mir reden wollts, seids ihr natürlich auch nicht eingeladen …»
Kurz herrscht verblüfftes Schweigen am Tisch. Dann bricht Walla in lautes Gelächter aus: «I pack’s net! Hast des g’hört, Schurli? Der Mausdreck glaubt, er kann uns mit zwa Krügerln einbraten!»
«Nein. Nicht mit zwei Krügerln.» Der Lemming nippt an seinem Kaffee. Stellt bedächtig die Tasse zurück und lächelt Walla freundlich an. «Nicht mit zwei Krügerln», sagt er noch einmal. «Sag, wie schaut’s denn so mit euren Vorstrafen aus? Ich könnt mir vorstellen», fährt er fort, ohne eine Antwort abzuwarten, «dass so ein nächtlicher Freundschaftsbesuch gar nicht gut ankommt beim Richter. Besonders wenn der Besuchte nachher ins Krankenhaus muss … Das ist kein lächerlicher Diebstahl mehr, das ist ein räuberischer Einbruch, meine Herren. Ein Überfall, dazu noch schwere Körperverletzung, vorsätzlich, versteht sich … Momenterl, ich kann’s euch ausrechnen … Na, unter fünf Jahren wird da schwer was zu machen sein.»
Jetzt ist es der Lemming, der sich – mehr als zufrieden – zurücklehnt. Die bestürzten Mienen seiner Tischgenossen zeigen ihm, dass er ins Schwarze getroffen hat.
«Aber», spricht er schließlich weiter, «ich wäre unter Umständen dazu bereit gewesen, euch einzuladen. Auf fünf Jahre Freiheit, verstehts ihr? Und – wenn’s unbedingt sein muss – auf eure zwei Krügerln dazu. Schade eigentlich. Schad, dass ihr solche Steher seids …»
Der schnelle Finger und der Schmierer tauschen einige rasche Blicke, aber keiner der beiden zieht einen Vorteil aus diesem Tauschgeschäft: Befangenheit gegen Beklommenheit, so lautet die Bilanz.
«Also gut», murmelt Walla schließlich. «Was willst wissen, Wallisch?»
«Noch einmal frag ich nicht …»
«So,
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