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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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unser Herrgott endlich ein Einsehen haben? Unter dem heißesten Sommer seit 1540 leiden ganz besonders die Rentner und Landwirte, wie Sprecher des Pensionistenverbandes und des Bauernbundes in einer gemeinsamen   …
     
    «Ja und?»
    Noch immer bringt Klara kein Wort heraus. Stattdessen deutet sie auf eine kleine Meldung in der unteren Ecke der Zeitung.
     
    ÜBERFALLEN UND VERLETZT
    Wie erst kurz vor Redaktionsschluss bekannt wurde, drangen in der Nacht zum 2.   September zwei Unbekannte in das Atelier des Wiener Kunstmalers H.   Riedmüller ein. Bei dem Versuch, die Männer in die Flucht zu schlagen, zog sich der namhafte Künstler schwere Verletzungen an beiden Händen zu.
     
    «Das   … gibt’s doch nicht   …»
    Noch einmal überfliegt der Lemming den kurzen Bericht, blättert dann weiter und wieder zurück, liest die Meldung schließlich noch ein drittes Mal, so als könnte er zwischen den Bögen und Zeilen nicht nur die reine, sondern die ganze Wahrheit entdecken. Dabei sickert sie ihm jetzt ganz von selbst ins Bewusstsein, die Wahrheit, entblättert sich förmlich von innen her, bis sie ihm klar vor den schreckgeweiteten Augen steht.
    Gestern Vormittag ist er vor Hörtnagls Haus gestanden. Dann, etwas später, auf den Straßenbahnschienen, unweit der WohnungPokornys. In der Nacht endlich, als der promilleschwangere Lemming nach Hause mäandert ist, hat er vor Herrmann Riedmüllers Atelier gewartet.
    «Natürlich   … Der Käfer   …»
    «Was?», findet Klara endlich ihre Sprache wieder. «Was für ein Käfer?»
    «Der verfickte   … Entschuldige. Der beschissene grüne Käfer   … Dauernd steht er mir   … Es ist fast so, als ob   …
    Moment   …» Der Lemming springt auf, läuft zum Fenster und späht auf die Straße hinunter. Im Schatten der hohen Linden, die schräg gegenüber den Gehsteig säumen, parkt – still und friedlich – der grüne VW.
    «Verdammt   …»
    Rasch tritt der Lemming vom Fenster zurück. Er lässt den zerschlissenen Schlafrock zu Boden gleiten und beginnt sich anzuziehen.
    «Ich erklär’s dir später», schnauft er, während er stolpernd in seine Schuhe schlüpft, «aber jetzt pass bitte auf, das ist ganz wichtig: Du musst hinter mir zusperren und in der Wohnung bleiben   … Die nächsten, sagen wir, zwanzig Minuten zumindest   … Und dann gehst du, möglichst rasch und unauffällig. Nimm dir am besten ein Taxi.»
    «Was hast du denn vor, Poldi?» Klara ist nun auch von ihrem Sessel aufgesprungen. «Was hast du vor, verdammt?»
    Aber zu spät. Schon fällt hinter dem Lemming die Tür ins Schloss.
     
    Er wendet sich nach rechts, schlendert über den Kirchenplatz und biegt in die Grünentorgasse ein. Wirft einen langen, interessierten Blick in das Schaufenster des Cafés
Kairo
, in dem es rein gar nichts zu sehen gibt. Geht dann weiter nach Westen, vorbei an der Volksschule, in der einst Franz Schubert sein kurzes und freudloses Dasein als Lehrer gefristet hat. Er bleibt abermals stehen und studiert die Gedenktafel, die erseit Kinderzeiten schon auswendig kann – schließlich hat er ja selbst diese Schule besucht, wenn auch erst hundertfünfzig Jahre nach dem kleinen Syphilitiker und großen Komponisten. Dreimal liest der Lemming die Inschrift, dreht sich dann um und betrachtet prüfend den Himmel: blau und strahlend wie seit Tagen, seit Wochen. Noch immer kein Regen in Sicht   … Dafür fällt ihm etwas anderes in die Augenwinkel, etwas Grünes und Schmutziges: der Käfer, der langsam die Gasse entlangkrabbelt, das Heck voran allerdings, also arschlings, wie man in Wien zu sagen pflegt. Einbahn, natürlich: Die Grünentorgasse darf nur in Richtung der Kirche befahren werden   …
    Seine Verfolger, vermerkt der Lemming mit einem Hauch von Erleichterung, dürften nicht gerade die Intelligentesten sein. Einen Fußgänger mit dem Auto zu beschatten zeugt an sich schon von einer gewissen mentalen Genügsamkeit. Dabei im Rückwärtsgang gegen die Einbahn zu fahren grenzt hingegen an die absolute geistige Askese. Ist ihre Dummheit nicht mehr als ein Kind der Bequemlichkeit? Oder fesselt sie eine Behinderung an ihren Wagen, eine körperliche, wohlgemerkt? Wahrscheinlich nicht, entscheidet der Lemming. Falls es wirklich die beiden waren, die Herrmann Riedmüller in seinem Dachatelier überfallen haben, dann scheidet diese Möglichkeit wohl aus: Das entsprechende Täterprofil sieht weder amputierte noch gelähmte Beine vor   …
    Er setzt sich wieder in

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