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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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setzen konnte.
Ein Herrscher soll sich keiner anderen Kunst widmen als der Kriegskunst
, das hat schon der Machiavelli geschrieben. Na, da scheißt man doch auf künstlerische Höhenflüge und gibt die Steuern lieber für Abfangjäger aus.
    Natürlich spielt die Kunst nach wie vor eine große Rolle in Österreich. Ganz besonders die Kunst der Verblichenen, mit der sich, wie gesagt, eine Unmenge Geld machen lässt: Mozart, Strauß und Schubert, Klimt, Kokoschka und eben Schiele. Je toter ein Künstler, je dicker die Patina auf seinen Werken, desto besser. Frisch müssen heut nur noch nur die Mozartkugeln sein. Und die feschen Mäderln vom Staatsopernballett. Ansonsten ist alles Lebendige eine Bedrohung: kapriziös und unberechenbar, ein steter Quell der Subversion, wenn nicht sogar der Anarchie.
    Dass die Aula der Akademie vor illustren Gästen fast aus den Nähten geplatzt ist, braucht dich also nicht zu wundern. Was man innen nicht hat, das kann man im geschützten Rahmen gefahrlos nach außen kehren: Kulturbewusstsein zum Beispiel. Wenn man sich gleichzeitig die nackten Teenies vom Schiele anschauen kann und wenn das wohlige Schaudern, das sie hervorrufen, vom monetären Wert der Bilder noch auf die Spitze getrieben wird, dann ist das kleine Glück der großen Philister perfekt.
    Es war der übliche Ablauf von derlei Veranstaltungen: ein Handschlag hier, ein Handkuss da, Smalltalk und ein erstes Glaserl Wein, dann das langsame Verebben des Gemurmels, Blicke zum Rednerpult, Ansprachen. Damen und Herren, eine Ehre, hier stehen zu dürfen, will mich kurz fassen, großer Sohn dieser Anstalt, unbestechlicher Blick, Genie des Sinnlichen, ewige Frage des Daseins, ästhetischer Wegbereiter, leider so jung von uns gegangen und so weiter und so fort. Vier Leute haben da oben ihren Sermon von sich gegeben, vom Rektor bis zum Staatssekretär. Und keiner hat auf die alte, schmierige Floskel am Ende seiner Rede verzichtet: ‹Nun will ich Sie aber nicht länger vom Buffet abhalten, meine Damen und Herren   …›
    Kein allzu opulentes Buffet, nebenbei. Wasser, Saft und Wein, belegte Brötchen. Es waren eher die Studenten, die sich darum gerissen haben. Und ein paar professionelle Vernissagengeher, die sich an jedem Montag das Kulturprogramm für die ganze Woche besorgen, um sich dann Abend für Abend gratis zu verköstigen.
    Die vier sind auch ums Buffet gestanden. Haben sich allerdings auf den Wein beschränkt, sich ein bisserl Mut angetrunken für den letzten Akt ihrer kleinen Komödie. Und dann, während die High Society an den Kunstwerken vorbeidefiliert ist, hat der Bär die Bombe platzen lassen.
    Man muss sich das vorstellen. Ein zwei Meter großer, vierschrötigerKerl mit Stoppelbart und irrem Blick, der plötzlich brüllend durch den Raum stürzt, als wäre er kurz davor, sich ein Ohr abzuschneiden   …
    Er stürmt also an den Smokings und Abendkleidern vorbei auf die besagte Stellwand zu und reißt eines der unbezahlbaren Bilder herunter. Rundherum weichen die Leute zurück, raunen auf, schockiert und mit entsetzten Blicken, während der Bär das Bild über den Kopf hebt wie eine Trophäe und es dann mit einer heftigen, kraftvollen Bewegung übers Knie bricht – ein hässliches Krachen, als der Rahmen zerbirst, das Glas zersplittert. Schon steht er da, der Bär, mit dem nackten, verletzlichen Blatt in den klobigen Händen, man tät es ihm gerne entreißen, die Kostbarkeit auf der Stelle in Sicherheit bringen, getraut sich aber nicht, es geht auch alles viel zu schnell   …
    Und dann zerfetzt er es – vor aller Augen – in viele kleine Stücke. Ein paar davon schiebt er sich noch in den Mund, bevor ihn endlich zwei Hausarbeiter überwältigen, sich auf ihn werfen, ihn zu Boden zerren, bereit, ihm seinen breiten, offenbar völlig verrückten Schädel einzuschlagen. Der Bär zeigt keine Gegenwehr, also prügeln sie doch nicht auf ihn ein, halten ihn nur umklammert, pressen sein Gesicht auf den Marmorboden, unschlüssig, was jetzt zu tun ist   …
    Plötzlich kehrt Stille ein. Ungläubigkeit. Einer der Professoren macht zwei, drei schwankende Schritte nach vorne und bückt sich – fast wie in Trance – nach einem der Papierfetzchen. Hält es hoch, starrt darauf, völlig entgeistert.
    ‹Polizei›, flüstert er schließlich. Und bald schon um einiges lauter, beinahe hysterisch: ‹Polizei! Polizei!›
    Worauf das Chaos erst so richtig losbricht.
    Der Adler und die Löwin sind schließlich eingeschritten. Es ist

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