Das Schweigen des Lemming
ihnen – in dem ganzen nun folgenden Tumult – gelungen, sich irgendwie Gehör zu verschaffen. Natürlich hat es seine Zeit gedauert, bis man ihnen die Wahrheit geglaubt hat. Dassdas Bild nämlich eine Fälschung gewesen ist. Dass sie es selbst hingehängt haben …
Warum die vier nicht von der Akademie geflogen sind? Wenn du dir den Aufschrei in den Medien vorstellst, den es dann gegeben hätte, kannst du dir die Frage selbst beantworten. Die Crème de la Crème der österreichischen Kunstszene, und keiner, kein Einziger kann einen Schiele von einem Floh unterscheiden …»
12
Und wieder retour. Vorbei am Palais Liechtenstein, vorbei an der Schubertschule und zügig zurück in das Heimatgrätzel, zurück auf den Kirchenplatz, der in der brütenden Sonne liegt wie eine auf den Rücken gedrehte Schildkröte.
Hoffentlich hat Klara die Wohnung inzwischen verlassen, denkt der Lemming und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Nicht auszudenken, wenn sie gerade jetzt aus dem Haustor träte, ihm voller Besorgnis entgegeneilte. Vermutlich sind seine Verfolger, so heimtückisch ihrer blechernen Rüstung beraubt und zum Ausgangspunkt zurückgeführt, nicht eben bester Laune …
Schattig, beschaulich, beinahe mediterran liegt der Schanigarten des Cafés
Kairo
unter den hohen Bäumen. Der Lemming steuert auf einen der kleinen Metalltische zu, umrundet ihn, setzt sich und greift sofort nach der Getränkekarte, die auf der Tischplatte liegt. Über den Rand der Karte hinweg wandert sein Blick die Grünentorgasse entlang. Und ja: Keine hundert Meter entfernt stehen die zwei Männer. Ihre Haltung wirkt unschlüssig. Verärgert.
«Eine Melange, bitte, Gerhard … Oder nein, bring mir lieber einen Mokka. Und ein großes Glas Wasser dazu …»
Ein Mokka trinkt sich schneller als eine Melange. Man weißja nicht, wie lange man noch ungestört hier sitzen kann. So wie es aussieht, bleibt nicht mehr allzu viel Zeit für den ungetrübten Kaffeegenuss: Die Männer scheinen eine Entscheidung getroffen zu haben. Sie setzen sich jetzt in Bewegung, kommen langsam näher.
Und da, mit einem Schlag, wird dem Lemming klar, warum es so schwer war, die beiden aus ihrem Wagen zu locken.
«Das gibt’s ja nicht», murmelt er und lässt die Karte sinken. «Der schnelle Finger … Und der Schmierer …»
Man kennt einander.
Franz –
der schnelle Finger
– Walla und Schurl –
der Schmierer
– Pekarek sind so etwas wie ehemalige Weggefährten des Lemming. Nur dass ihr Weg schon damals in die exakte Gegenrichtung geführt hat: Während Kriminalgruppeninspektor Leopold Wallisch sein Brot damit verdiente, das Gesetz zu hüten, lebten Walla und Pekarek davon, es zu brechen. Zuhälterei, verbotenes Glücksspiel, Erpressung, Zigarettenschmuggel und kleinere Einbrüche, das waren im Großen und Ganzen die Mankos auf den Konten der beiden Strizzis. Wo nun aber gehobelt wird, da fallen auch Späne. Als Sollzinsen kamen zwangsläufig noch weitere Sünden dazu: hier eine gefährliche Drohung, da eine schwere Nötigung oder Körperverletzung. Dass Walla und Pekarek einen nicht unerheblichen Teil ihres Lebens hinter Gittern verbracht haben, wirft ein entlarvendes Licht auf ihre intellektuellen Fähigkeiten: Die zwei sind in der Tat keine sehr großen Leuchten. Schon eher große Armleuchter …
Als Beamter der Mordkommission hat der Lemming nicht viel mit den beiden zu tun gehabt. Trotzdem: Die Welt ist klein, die Halbwelt noch kleiner, man ist miteinander bekannt, auch wenn man in unterschiedlichen Ligen spielt. Walla und Pekarek haben die Unterliga nie verlassen. Es sind kümmerliche Gauner vom alten Wiener Schlag, längst an den Rand gedrängt vom organisierten Verbrechen, von kaltenGeschäftsleuten und ihren drahtigen Bütteln, die hart und brutal sind und keinem wie immer gearteten Kodex mehr folgen. Das Wort
Ganovenehre
vermögen sie nicht einmal auszusprechen, die Qualität ihres Handschlags offenbart sich bestenfalls in der rohen Gewalt ihrer Fausthiebe, auf die sie sich wohl oder übel beschränken, wenn die Kalaschnikow mal wieder Ladehemmung hat.
«Walla und Pekarek …»
Der Lemming steht auf und nickt den Männern zu. Deutet auf seinen Tisch und macht eine einladende Handbewegung. Schurl Pekarek, der Größere der beiden, blickt geflissentlich zur Seite, kramt in seinen Taschen, steckt sich eine Zigarette an. Franz Walla aber erwidert den angedeuteten Gruß. Er zuckt mit den Achseln, raunt seinem Freund etwas
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