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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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stillvergnügtes Grinsen auf sein Gesicht zaubern.
    Dabei lässt sich auf den ersten Blick nicht mehr erkennen als ein breiter Paravent, auf dem sich im tiefen Azurblau japanischer Wellen ein Fischschwarm tummelt. Darüber ziehen sich schwere Stoffbahnen durch den Raum, auf denen Kolibris ihre langen Schnäbel in schwellende Blütenkelche versenken. Der Lemming schleicht näher, geht in die Knie, späht durch eine der Ritzen des Wandschirms, aber das Blickfeld ist eng, der Winkel alles andere als günstig: Nur der schmaleAusschnitt eines breiten Bettes ist zu sehen, über das sich ein türkisfarbener Himmel spannt. Kurz entschlossen richtet sich der Lemming auf, atmet durch und tritt aus seiner Deckung. Selbst für Klara wird es schwierig sein, ihm später eine detaillierte Schilderung der Szene zu entlocken, die sich seinen Augen nun bietet. Er wird zunächst von vier Personen berichten, die sich teils auf, teils neben dem Bett befinden: außen zwei strohblonde, spärlich bekleidete Frauen, dazwischen ein halb nackter Glatzkopf und ein hüllenloser Mann in mittleren Jahren. Er wird – nun schon ein wenig undeutlich – von den bizarren Requisiten erzählen, mit denen die Damen dem seltsamen Schauspiel der Herren den nötigen Pep verleihen: eine kurze, handliche Reitgerte und eine Art künstliche Gurke. Dann aber wird der Redefluss des Lemming endgültig ins Stocken geraten; höchstens, dass er noch einige schwer verständliche Worte vor sich hin murmeln wird: etwas, das so klingt wie
Vergasermassage
, etwas, das sich wie
Bezirksvorsteherdrüse
anhört. Und er wird den Bericht mit dem kryptischen Satz beschließen, dass Sekt nicht immer gleich Champagner ist   …

14
    «Sie werden den heutigen Tag noch verfluchen, das kann ich Ihnen versprechen. Und den, an dem Ihre Kinder geboren sind   …»
    «Ich habe leider keine. Aber nicht, weil ich   … Also nicht wegen meiner, sagen wir, Vorlieben   … Ich nehme an, Sie sind auch noch kinderlos?»
    Der Lemming kann seine Worte drehen und wenden, wie er will, es kommt immer ein Fettnäpfchen heraus, und jedes davon ist tiefer und peinlicher als das vorherige. Peinlich vor allem für sein Gegenüber, für Otto Plessel, aber beschämend auch für ihn selbst, den chronischen Empathiker. So wüst dieDrohungen des rasenden Vergasers auch sein mögen: Das wahrhaft Quälende an diesem Gespräch sind seine eigenen Taktlosigkeiten.
    Am Anfang des Gespräches jedenfalls   …
    Dabei kann er sich noch glücklich schätzen, bei vollem Bewusstsein und körperlich unversehrt hier am Kanal entlangzuspazieren, statt auf der Intensivstation des AKH von seinen gebrochenen Knochen zu träumen. Oder – wenn es nach Otto Plessel ginge – im Sterbezimmer. Was ihn vor dem Zorn der germanischen Götter bewahrt hat, war nur ein unscheinbarer Gegenstand in seiner Tasche: sein kleiner Fetisch, sein magisches Ei.
     
    Vorhin, in der blauen Grotte, ist es natürlich ein wenig unruhig geworden, nachdem eine der zwei Damen die Anwesenheit eines fünften, nicht geladenen Gastes bemerkt hatte. Noch während ihr überraschtes, aber durchaus freundliches «Was willst denn du da, Schatzerl?» in den geblümten Stoffbahnen versackt ist, hat sich Plessel mit einem Aufschrei vom Bett gerollt, um sich dahinter zu verstecken. Sein junger Sektspender hat gelassener reagiert. Er ist eine Zeit lang nur so dagesessen und hat den Lemming blöde angeglotzt. Hat dann begonnen, seine Hose zuzuknöpfen.
    Nach einer kurzen Pause, in der der Lemming keinerlei Anstalten machte, den Raum zu verlassen, ist Otto Plessels Stimme ein weiteres Mal ertönt. «Raus jetzt! Raus da, du Schwein!», hat er gekreischt und über die Bettkante gelugt.
    «Entschuldigung, tut mir Leid   … Es war nicht meine Absicht, Sie zu stören   …» Der Lemming hat bedauernd die Hände gehoben und ist stehen geblieben. Er war wohl selbst noch ein wenig benommen vom Lauf der Ereignisse.
    «Was wollen Sie noch hier? Was wollen Sie überhaupt?»
    «Ach so, ja. Entschuldigen Sie   … Informationen, Herr Plessel. Nur ein paar Informationen.»
    Eines musste man ihm lassen, dem Vergaser: seine rasche Reaktion. Kaum ist ihm die Tatsache bewusst geworden, dass der Lemming kein verirrter Gast des
Orchidee
war, sondern ein mutwilliger Eindringling, ein politischer Gegner vielleicht oder gar ein Journalist, hat er dem jungen Glatzkopf, der nach wie vor auf dem Bett saß, ein zackiges «Fass, Karl!» zugebellt.
    Und Karl hat gefasst.
    Keine drei

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