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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Hühnersuppe, solange du ein magisches Ei in der Tasche trägst   …
    Ich wollt, ich wär ein Huhn
, flötet es schrill aus der Hosentasche des Lemming. Er zuckt zusammen, greift sich an seinen vibrierenden Schritt und nestelt das Handy hervor.
    «Entschuldige, Klara   … Moment nur   … Ich dreh das gleich ab   …»
    Stirnrunzelnd starrt er auf den zuckenden Apparat, drückt dann aufs Geratewohl einen der Knöpfe. Gespräch abweisen, denkt er, das müsste es sein   …
    Und wirklich: Das Ei verstummt. Mit zufriedenem Lächeln führt es der Lemming jetzt an sein Ohr, zur Kontrolle nur, zur Bestätigung seiner technischen Kompetenz.
    Da tönt – klar und deutlich – eine Männerstimme aus dem Hörer: «Wallisch?»
    Der Lemming stutzt. Die rosige Farbe, die ihm Klaras frohe Botschaft, Klaras Verkündigung ins Gesicht getrieben hat, verflüchtigt sich mit einem Schlag.
    «Was   … Wieso   … Wer ist da?», stottert er verwirrt. «Mit wem sprech ich denn?»
    «Stropek, Wallisch, Stropek hier. Kennen S’ mich nicht mehr?»
    «Ach   … Sie sind’s, Herr Doktor   …» Der Lemming wirft Klara einen bedauernden Blick zu und verdreht die Augen.
    «Ja, ich: Ihr bisheriger und, wie ich hoffe, auch künftiger Arbeitgeber: Schönbrunner Tiergarten, falls Sie sich vielleicht noch erinnern   …»
    «Aber sicher   … Ich meine, wie könnt ich   … Nach zwei Tagen   …»
    «Schon gut, Wallisch, net aufregen   … War nur ein Schmäh   …»
    «Ach so, aha   … Haha   … Ich hab mich   … nur kurz gewundert, dass Sie meine Handynummer   …»
    «Sie haben mich doch vorgestern ang’rufen   …»
    «Natürlich, ich weiß schon, das Display   …»
    Für einen Moment herrscht Stille am anderen Ende der Leitung,dann aber dringt – wie könnte es auch anders sein – Stropeks akustisches Markenzeichen aus dem Hörer: ein lang gezogenes Seufzen.
    «Also gut, bittschön, lassen wir die Scherze, es ist sowieso keine lustige Zeit momentan   … Der Unfall vom kleinen Hörtnagl: schlimme Sache. Sehr schlimme Sache. Ich nehm an, Sie haben das mitbekommen   …»
    «Ja», sagt der Lemming, «allerdings   …»
    «Schauen S’, Wallisch, ich will Sie net lang aufhalten. Der Grund, dass ich anruf, ist folgender: Der Herr Kommerzialrat hat mich vorhin wissen lassen, dass er Sie nicht mehr   … Also, dass er die G’schicht mit dem Pinguin nicht mehr weiterverfolgen will. Das kann man ihm auch wirklich nicht verdenken, nach dem tragischen Schicksalsschlag, da hat man bei Gott andere Sorgen als Vater   … Jedenfalls   … Er benötigt ja jetzt Ihre Dienste nicht mehr, aber das hat er Ihnen, glaub ich, eh schon gesagt   …»
    «Hat er», brummt der Lemming. Er wittert bereits das nächste Übel, kann die nächste Enttäuschung geradezu riechen. Womit sich der Duft seiner Träume, der Duft einer kräftigen Hühnersuppe verflüchtigt   …
    «Die Sache ist die», spricht Stropek weiter, «dass mir das grad sehr gelegen kommt   … Kurz gesagt, Wallisch: Schönbrunn braucht dringend Ihre Hilfe   …»
    «Hören Sie, Herr Doktor, nichts für ungut, aber ich hab gerade   …»
    «Ich weiß schon, ich weiß schon», schneidet Stropek dem Lemming den Satz ab, «Sie wären ja eigentlich erst morgen wieder eingeteilt. Aber die armen Viecherln können sich’s auch nicht aussuchen, wer auf sie Acht gibt   … Und heute ist, wie gesagt, Stichtag: Stichtag für Ihren Kollegen, für den Pokorny. Ich sag’s Ihnen ehrlich, Wallisch: Ich glaub nicht, dass der heute zum Nachtdienst erscheint. Hundertmal hab ich ihn angerufen, aber er hebt ja nicht ab, geschweige denn,dass er sich bei mir rühren tät   … Also ganz unter uns: Wenn der Pokorny wirklich marod ist, dann höchstens von den Achterln, die er sich grad irgendwo in Jesolo oder Caorle einverleibt   …»
    «Und da haben Sie sich gedacht, zur Sicherheit frag ich den Wallisch, ob er nicht einspringen kann   …»
    «Richtig, Wallisch, punktgenau. Sie wissen nämlich gar nicht, wie froh ich bin, dass ich Sie hab. Auf den Wallisch, sag ich immer, ist wie auf keinen anderen Verlass: pünktlich, fleißig und vernünftig, ein durch und durch betamter Mensch, die Zierde unseres Wachpersonals   … Also sagen S’, wann können Sie da sein?»
    Der Lemming gibt sich geschlagen: ein bisschen Honig ums Maul, und er beißt in den sauren Apfel   …
    «In einer Stunde, Herr Doktor   …»
    «Gott, Wallisch   …», seufzt Stropek erleichtert, «Sie sind mir ein

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