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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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woanders spielen?«
    Und alle Kinder stoben davon und versteckten sich hinter dem weißen Felsen, und das Leben war ein aufregendes Abenteuer, so ganz anders als die Fingerübungen für die Läufe in Es-Dur; es stank nach Mist, und die Holzschuhe von Maria, der Magd, klapperten, wenn sie in den Heuschober ging, und Ende Juli kamen die sonnenverbrannten Mäher mit Sichel und Sense in der Hand. Und der Hund in Can Casic hieß auch immer Viola und beneidete die Kinder, die nicht an einer nur knapp zwölf Ellen langen Kette hingen.
    »Die Bezeichnung verflixt und zugenäht ist ein Euphemismus für ›verflucht und zugenäht‹, und dieser Ausdruck wiederum stammt aus einem Studentenlied, in dem es heißt ›Doch als mir meine Liebste der Liebe Frucht gesteht, da hab’ ich meinen Hosenlatz verflucht und zugenäht‹.«
    »He, hört mal, Adrià redet von seinem Hosenlatz!«
    »Ja, aber man versteht ihn nie«, murrte Xevi, während sie am abschüssigen Wegrand auf dem Hosenboden bis auf die Straße herunterrutschten, die von Karrenspuren und den Pferdeäpfeln von Bastús, dem Gaul des Straßenfegers, übersät war.
    »Du redest unverständliches Zeug«, beschwerte sich Xevi bei ihm, als sie unten angekommen waren.
    »Entschuldige. Manchmal denke ich eben laut.«
    »Nein, meinetwegen …«
    Und sie mussten sich ihre staubigen Hosen nicht ausklopfen, weil in jenen Tagen in Tona, weit weg von den Eltern, alles erlaubt war und niemand schimpfte, wenn man mit aufgeschlagenen Knien nach Hause kam.
    »Can Casic, Sara …«, sagte er zusammenfassend, als er jetzt auf der Straße stand, die früher von Bastús verdreckt und jetzt asphaltiert war; und ihm kam gar nicht in den Sinn, dass Bastús heutzutage kein Gaul mehr war, sondern ein Iveco-Diesel mit Kippvorrichtung, einfach großartig, der frisst kein Heu, macht alles sauber und stinkt nicht nach Mist.
    Du standest neben mir, den Blumenstrauß in der Hand, und plötzlich gingst du auf die Zehenspitzen und gabst mir überraschend einen Kuss, und ich dachte, et in Arcadia ego, et in Arcadia ego, et in Arcadia ego, inbrünstig wie ein Gebet. Hab keine Angst mehr, Sara, hier an meiner Seite bist du sicher. Zeichne ruhig weiter, ich werde dich unterdessen lieben, und gemeinsam werden wir lernen, unser Arkadien zu errichten. Bevor wir bei meiner Familie anklopften, gabst du mir den Blumenstrauß.
    Auf der Rückfahrt redete Adrià Sara zu, ebenfalls den Führerschein zu machen; sicher würde sie sich bei der Prüfung geschickter anstellen als er.
    »In Ordnung.« Sie legten einen Kilometer schweigend zurück, dann sagte sie: »Weißt du was? Tante Leo hat mir gefallen. Wie alt ist sie?«
    Laus Deo. Er hatte schon bemerkt, dass sich Sara nach einer Stunde bei seiner Familie entspannt und still vor sich hin gelächelt hatte.
    »Ich weiß nicht. Über achtzig.«
    »Sie ist wirklich prima. Ich möchte mal wissen, wo sie ihre Energie hernimmt. Sie ist ja nicht zu bremsen.«
    »So war sie schon immer. Und alle stehen vor ihr stramm.«
    »Zuletzt hat sie mir das Glas Oliven dann doch noch aufgeschwatzt.«
    »Ja, so ist sie.« Und da die Gelegenheit gerade günstig war, fragte er rasch: »Und warum besuchen wir nicht mal deine Familie?«
    »Kommt nicht in Frage.« Ihr Tonfall war schroff, kategorisch.
    »Warum nicht, Sara?«
    »Sie akzeptieren dich nicht.«
    »Tante Leo hat dich doch auch akzeptiert.«
    »Wenn deine Mutter noch am Leben wäre, hätte ich keinen Fuß in deine Wohnung setzen dürfen.«
    »In unsere Wohnung.«
    »In unsere Wohnung. Tante Leo ist was anderes. Die werdeich am Ende noch richtig lieb gewinnen. Aber die zählt nicht. Was zählt, ist deine Mutter.«
    »Sie ist tot! Seit zehn Jahren schon!«
    Sie schwiegen bis Figueró. Bis Adrià es nicht mehr aushielt und sagte, Sara.
    »Was?«
    »Was haben sie dir über mich erzählt?«
    Schweigen. Am anderen Flussufer des Congost fuhr ein Zug nach Ripoll hinauf, und unser Gespräch war drauf und dran, abzustürzen.
    »Wer?«
    »Deine Familie. Damit du verschwindest.«
    »Nichts.«
    »Und was habe ich in diesem berühmten Brief angeblich geschrieben?«
    Vor ihnen schlich ein mit Joghurt beladener Lkw dahin. Und Adrià war beim Überholen immer noch sehr unsicher. Was sollte er forcieren? Das Überholmanöver oder das Gespräch? Er überholte nicht, sondern fragte stattdessen, sag schon, Sara, welche Lügen haben sie über mich verbreitet? Was haben sie dir erzählt?
    »Frag mich das nicht mehr.«
    »Warum nicht?«
    »Nie

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