Das Schweigen des Sammlers
fiel ihm nichts Besseres ein als zu fragen, was willst du, Sara. Unfassbar: Das war das Einzige, was mir einfiel.
»Darf ich reinkommen?«
Du darfst in mein Leben eintreten, du darfst tun, was du willst, Sara, Liebste.
Aber sie trat erst mal nur in die Wohnung und stellte ihre Tasche ab. Und wieder standen wir uns eine Minute lang gegenüber, diesmal in der Diele. Dann sagte Sara, ich könnte jetzt einen Kaffee vertragen. Und da sah ich, dass sie eine gelbe Rose in der Hand trug.
Schon Goethe hat gesagt, dass es nicht gutgehen kann, wenn man im Alter versucht, sich seine Jugendträume zu erfüllen. Wer das Glück nicht im richtigen Augenblick erkannt oder genutzt hat, für den ist es bei aller Mühe zu spät. In derLiebe, die man im Alter wiederfindet, lebt höchstens eine zärtliche Erinnerung an glückliche Zeiten fort. Eduard und Ottilie gingen ins Wohnzimmer, um Kaffee zu trinken. Sie legte die Rose mit eleganter Nachlässigkeit auf dem Tisch ab.
»Der Kaffee ist gut.«
»Ja. Er ist von Múrria.«
»Den gibt es noch, den Feinkostladen?«
»Klar.«
»Was denkst du?«
»Ich will nicht …« Im Grunde wusste ich nicht, was ich sagen sollte, Sara. Deshalb kam ich gleich auf den Punkt: »Wirst du bleiben?«
»Unter einer Bedingung. Und verzeih mir.« Ottilie sah zu Boden.
»Welche?«, fragte Eduard zögernd.
»Dass du das zurückgibst, was dein Vater gestohlen hat. Verzeih.«
»Was er gestohlen hat?«
»Ja. Dein Vater hat die Notlage vieler Leute ausgenutzt, um sie zu erpressen. Vor dem Krieg, während des Kriegs und nach dem Krieg.«
»Aber ich …«
»Was glaubst du denn, worauf sein Geschäft beruhte?«
»Ich habe den Laden verkauft«, sagte er.
»Wirklich?«, fragte Sara überrascht. Das klang fast ein wenig enttäuscht.
»Ich will kein Krämer sein, und ich habe die Methoden meines Vaters niemals gutgeheißen.«
Stille. Sara trank einen Schluck Kaffee und sah ihm in die Augen. Ihr Blick war so forschend, dass Adrià sich zu einer Erklärung genötigt sah: »Hör zu: Ich habe einen Antiquitäten- und Trödelladen verkauft. Ich weiß nicht, welche Objekte daraus mein Vater mit unlauteren Methoden erstanden hat. Sicher nur die wenigsten. Und ich habe mit der ganzen Geschichte abgeschlossen«, log ich.
Sara saß zehn Minuten lang schweigend da, nachdenklichvor sich hinstarrend, ohne Adrià zu beachten; und ich hatte Angst, dass sie mir unerfüllbare Forderungen stellen würde, um so einen Vorwand zu haben, wieder zu verschwinden. Die gelbe Rose lag auf dem Tisch und lauschte unserem Gespräch. Ich sah Sara in die Augen, und sie wich meinem Blick nicht etwa aus, sondern war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie mich gar nicht wahrnahm. Es war ein Zug, den ich nicht an dir kannte, Sara, und den ich seither nur in ganz besonderen Augenblicken bei dir gesehen habe.
»Gut«, sagte sie nach einer Ewigkeit. »Wir können es versuchen.« Und sie trank noch einen Schluck Kaffee. Ich war so nervös, dass ich gleich drei Tassen hintereinander leerte, was eine schlaflose Nacht verhieß. Jetzt sah sie mir in die Augen, dass es wehtat, und sagte, mir scheint, du hast Schiss.
»Ja.«
Und Adrià nahm sie bei der Hand und führte sie ins Arbeitszimmer zu der Kommode mit den Manuskripten.
»Die ist neu«, sagtest du.
»Du hast aber ein gutes Gedächtnis.«
Adrià zog die ersten beiden Schubladen auf, und ich nahm meine Manuskripte heraus, meine Schätze, die meine Finger zittern ließen: meine Descartes, meine Goncourts … und sagte: Das alles gehört mir, Sara, ich habe es von meinem Geld gekauft, weil ich es gerne sammle oder besitze oder erwerbe – was weiß ich. Es ist meins, weil ich es gekauft habe und nicht irgendjemandem weggenommen.
Das sagte ich dir und wusste doch, dass es wahrscheinlich gelogen war. Eine schwere, dunkle Stille senkte sich über uns. Ich wagte nicht, sie anzusehen. Aber als sich die Stille in die Länge zog, warf ich ihr einen raschen Blick zu. Sie weinte leise.
»Was hast du?«
»Verzeih mir. Ich bin nicht gekommen, um über dich zu richten.«
»In Ordnung … Aber ich will, dass alles klar ist zwischen uns.«
Sie schnäuzte sich sacht, und ich brachte es nicht übersHerz, ihr zu sagen, na ja, wer weiß, woher Morral sie bekommt und mit welchen Methoden.
Ich zog die untere Schublade auf, in der die Recherche , der Zweig und die Gründungsurkunde von Sant Pere de Burgal lagen. Gerade als ich ihr sagen wollte, dass diese Manuskripte meinem Vater gehört hatten und
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