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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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dir.«
    Da ließ sie mich los und betrat das Zimmer. In der Ecke beim Fenster hing an der Wand das kleine Bild mit Mignons gelben Gardenien und hieß sie willkommen.
    »Aber wie …«
    »Es gefällt dir doch, oder?«
    »Woher wusstest du das?«
    »Gefällt es dir oder nicht?«
    »Es ist das schönste in der ganzen Wohnung.«
    »Dann gehört es jetzt dir.«
    Sie dankte mir auf ihre Weise, indem sie lange Zeit still vor den Gardenien stehen blieb.
    Und ihre nächste Tat, die für mich etwas fast Weihevolles hatte, bestand darin, ein Namensschild mit Sara Voltes-Epstein am Briefkasten anzubringen. Und nach zehn Jahren des Alleinlebens hörte ich wieder Schritte, wenn ich schrieb oderlas, das Klirren eines Kaffeelöffels in einem Glas oder eine warme Melodie, die aus deinem Atelier drang, und ich dachte, wir könnten glücklich sein. Aber Adrià vergaß, die andere offene Front zu schließen, und so etwas kann böse Folgen haben. Ich wusste das nur allzu gut; aber die Freude war größer als die Vorsicht.
    Das Schwierigste an der neuen Situation war für Adrià, die Verbotszonen zu akzeptieren, die Sara in ihrer beider Leben markierte. Sie wurden ihm bewusst, als sie bass erstaunt auf seinen Vorschlag reagierte, Tante Leo und die Vettern in Tona kennenzulernen.
    »Besser, wir lassen die Familie außen vor«, sagte Sara.
    »Warum?«
    »Ich will keinen Ärger.«
    »Ich möchte, dass du Tante Leo kennenlernst, und auch meine Vettern und meine Cousine, falls sie gerade dort sind. Das gibt keinen Ärger.«
    »Ich will keine Probleme.«
    »Die wirst du auch nicht bekommen. Warum auch?«
    Als die Pakete mit den Blättern und halbfertigen Bildern, mit den Staffeleien, der Kohle und den Farbstiften aus Paris gekommen waren, weihte sie ihr Atelier offiziell ein, indem sie mir eine Bleistiftzeichnung von Mignons Gardenien schenkte. Ich hängte sie an die Wand, an der zuvor das Original gehangen hatte, und da hängt sie heute noch. Und dann hast du dich an die Arbeit gemacht, weil du mit den Kinderbuchillustrationen für zwei französische Verlage im Verzug warst. Es waren stille Tage: Du warst mit deinen Zeichnungen beschäftigt, ich las oder schrieb. Wir trafen uns im Korridor, besuchten einander ab und zu, tranken am späten Vormittag in der Küche Kaffee, sahen uns in die Augen und sagten nichts, um das unerwartet wiedergewonnene zerbrechliche Glück nicht zu gefährden.
    Er hatte seine liebe Mühe, sie zu überreden, aber nachdem Sara den wichtigsten Auftrag erledigt hatte, fuhren sie schließlich doch noch nach Tona, in einem Fiat 600 aus dritter Hand, den Adrià sich zugelegt hatte, nachdem er beimsiebten Versuch endlich die Führerscheinprüfung bestanden hatte. In La Garriga mussten sie einen Reifen wechseln; in Aiguafreda bat Sara ihn, bei einem Blumengeschäft zu halten, ging hinein und kam mit einem wunderhübschen kleinen Strauß wieder heraus, den sie kommentarlos auf den Rücksitz legte. Und bei der Steigung von Sant Antoni in Centelles begann das Kühlwasser zu kochen; aber abgesehen davon ging alles gut.
    »Es ist das schönste Dorf der Welt«, schwärmte Adrià, als der 600er in Tona einfuhr.
    »Das schönste Dorf der Welt ist aber ziemlich hässlich«, bemerkte Sara, als sie im Carrer de Sant Antoni anhielten und Adrià die Handbremse zu heftig anzog.
    »Du musst es mit meinen Augen betrachten. Et in Arcadia ego.«
    Sie stiegen aus, und er sagte, sieh dir die Burg an, Liebste. Gleich dort oben. Ist es nicht hübsch?
    »Na ja … Was soll ich sagen …«
    Er merkte, dass sie nervös war, wusste aber nicht, was er tun sollte.
    »Betrachte es mal mit meinen Augen. Siehst du hier das hässliche Haus und weiter drüben das mit den Geranien?«
    »Ja …«
    »Dort stand früher Can Casic, das Elternhaus meines Vaters.«
    Er sagte es, als sähe er es vor sich; als stünde Josep zum Greifen nah vor ihm im Hof neben der Strohgarbe, die aussah wie das abgenagte Kerngehäuse eines Apfels, und schliffe, die Zigarette im Mundwinkel, mit gekrümmtem Rücken die Messer.
    »Siehst du?«, sagte Adrià. Er zeigte auf den Pferch für das Maultier, das immer Estrella hieß und dessen Hufe wie Stöckelschuhe auf dem mit Mist übersäten Pflaster klapperten, wenn es sich bewegte, um die Fliegen abzuwehren, und hörte sogar Viola wütend bellen und an der Kette zerren, weil die namenlose weiße Katze zu dicht an ihm vorbeistrich und genüsslich ihre Freiheit zur Schau stellte.
    »Verflixt und zugenäht, ihr Rotzlöffel, könnt ihr nicht

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