Das Schweigen des Sammlers
wieder.«
Nun kam eine gerade Strecke. Er setzte den Blinker, wagte aber nicht zu überholen.
»Ich habe das Recht zu erfahren, was …«
»Und ich habe das Recht, dieses Kapitel abzuschließen.«
»Darf ich deine Mutter danach fragen?«
»Besser, du lernst sie niemals kennen.«
»Verdammt.«
Sollte doch ein anderer überholen. Adrià sah sich außerstande, den langsamen Joghurtlaster zu überholen, vor allem, weil ihm Tränen die Sicht vernebelten und es dafür keinen Scheibenwischer gab.
»Es tut mir leid, aber es ist besser so. Für uns beide.«
»Dann werde ich dich nicht weiter drängen. Ich denke, ichwerde dich nicht weiter drängen … Aber ich würde deine Eltern wirklich gerne mal kennenlernen. Und deinen Bruder.«
»Meine Mutter ist genau wie deine. Ich will sie zu nichts zwingen. Sie hat zu viele Narben.«
Voilà: Bei Molí de Blancafort war der Lkw mit den Joghurts in Richtung Garriga abgebogen, und Adrià fühlte sich, als hätte er ihn aus eigener Kraft überholt. Sara fuhr fort: »Du und ich, wir müssen uns um uns selber kümmern. Wenn du willst, dass wir weiterhin zusammenleben, darfst du diese Büchse nicht öffnen. Wie die Büchse der Pandora.«
»Das ist ja wie im Märchen vom Ritter Blaubart. Das ganze Schloss darf man betreten, aber ein Zimmer ist verschlossen.«
»Ja, so ungefähr. Wie das verbotene Zimmer. Meinst du, du schaffst das?«
»Ja, Sara«, log ich – ich weiß nicht zum wievielten Mal. Hauptsache, du verschwandest nicht wieder.
Im Büro des Fachbereichs gab es drei Tische für vier Dozenten. Adrià hatte keinen eigenen Tisch, weil er gleich am ersten Tag darauf verzichtet hatte: Es schien ihm unmöglich, an einem anderen Ort als zu Hause zu arbeiten. Er hatte nur einen Platz, wo er die Tasche abstellen konnte, und ein Schränkchen. Und nun fehlte ihm doch ein Tisch, und er gestand sich ein, dass sein Verzicht voreilig gewesen war. Deshalb benutzte er den Tisch von Llopis, wenn der nicht da war.
Zu allem bereit, betrat er das Büro. Doch Llopis war da und korrigierte Druckfahnen oder Ähnliches. Und Laura, die an ihrem Schreibtisch saß, hob den Kopf. Adrià blieb wie angewurzelt stehen. Niemand sagte ein Wort. Llopis blickte vorsichtig auf, sah von einem zum anderen, sagte, er gehe mal schnell einen Kaffee trinken, und verließ sicherheitshalber das Schlachtfeld. Ich schnappte mir seinen Stuhl und platzierte mich direkt vor Laura und ihrer Schreibmaschine.
»Ich muss dir was erklären.«
»Seit wann gibst du Erklärungen?«
Lauras bissiger Tonfall verhieß kein einfaches Gespräch.
»Willst du reden oder nicht?«
»Na, hör mal … Seit Monaten gehst du nicht mehr ans Telefon, hier weichst du mir aus, und wenn ich dich abfange, sagst du, es geht grade nicht …«
Beide schwiegen.
»Und jetzt soll ich dir noch sagen, wie nett von dir, dass du dich heute bei mir hast blicken lassen«, fuhr sie im gleichen gekränkten Tonfall fort.
Sie musterten einander verstohlen, unbehaglich. Dann schob Laura die Olivetti beiseite, als störte es sie, dass sie zwischen ihnen stand, und fragte wild entschlossen: »Du hast eine andere, nicht wahr?«
»Nein.«
Wenn es etwas gibt, was ich an mir selbst nicht verstehe, dann ist es meine Unfähigkeit, den Stier bei den Hörnern zu packen. Ich packe ihn höchstens am Schwanz, und dann versetzt das Vieh mir den Todesstoß. Ich lerne das nie, denn ich sagte, nein, nein, Laura, verdammt, es gibt keine andere Frau … Es liegt an mir, weil ich … Wie auch immer, ich würde lieber …«
»Du bist peinlich.«
»Beleidige mich nicht«, sagte Adrià.
»Peinlich ist keine Beleidigung.« Laura sprang auf, sie war außer sich: »Sag doch einfach die Wahrheit, verdammt. Sag, dass du mich nicht liebst!«
»Ich liebe dich nicht«, sagte Adrià in dem Augenblick, in dem die Parera die Tür öffnete und Laura in Tränen ausbrach. Als sie rief, Arschloch, Arschloch, Arschloch, hatte die Parera die Tür schon wieder zugemacht und sie allein gelassen.
»Du hast mich benutzt wie ein Taschentuch.«
»Ja. Verzeih mir.«
»Verpiss dich.«
Adrià ging hinaus. Am Geländer des Kreuzgangs stand die Parera, wartete, rauchte eine Friedenszigarette und war vielleicht schon dabei, Partei zu ergreifen, ohne die Einzelheiten zu kennen. Er ging an ihr vorbei und wagte es nicht einmal, irgendetwas zu sagen.
Zu Hause sah ihn Sara verwundert an, als würden ihm der Streit oder der Ärger im Gesicht oder an den Kleidern kleben, aber gesagt hast du
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