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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Wasserhahn hatte, und winkte dem Besucher, ihm zu folgen. In diesem Moment setzten sich zwei Männer mit dunklen Brillen und wichtigem Gehabe auf die grüne Bank, nachdem sie die beiden Frauen verscheucht hatten. Der Doktor führte seinen Gast in einen kleinen Raum, vermutlich sein Büro.
    »Bleiben Sie zum Abendessen?«
    »Ich weiß es nicht. Ich plane nicht so lange im Voraus.«
    »Also, ich höre.«
    »Ich hatte große Mühe, Sie zu finden, Herr Doktor Budden. Ich hatte Ihre Spur in einem Trappistenkloster verloren und lange nicht herausfinden können, wohin Sie verschwunden waren.«
    »Wie ist es Ihnen schließlich gelungen?«
    »Indem ich im Hauptarchiv des Ordens nachgeschaut habe.«
    »Ach ja, diese Manie, alles zu dokumentieren und zu archivieren. War man entgegenkommend?«
    »Bisher dürfte noch niemand gemerkt haben, dass ich dort war.«
    »Was haben Sie gefunden?«
    »Abgesehen von der falschen Fährte ins Baltikum, gab es Hinweise auf Stuttgart, Tübingen und Bebenhausen. Dort half mir eine sehr liebenswürdige alte Dame, zwei und zwei zusammenzuzählen.«
    »Meine Cousine Herta Landau, nicht wahr? Sie war schon immer ein Schwatzmaul. Sie muss hocherfreut gewesen sein, jemanden zum Plaudern zu haben. Verzeihung, fahren Sie fort.«
    »Nun ja, das ist schon alles. Es hat mich Jahre gekostet, die Zusammenhänge zu begreifen.«
    »Dafür hatte ich mittlerweile Gelegenheit, ein wenig von dem wiedergutzumachen, was ich angerichtet habe.«
    »Mein Auftraggeber hätte sich gewünscht, dass es schneller gegangen wäre.«
    »Warum nehmen Sie mich nicht fest und stellen mich vor Gericht?«
    »Mein Auftraggeber ist schon alt. Er duldet keinen Aufschub, weil er bald sterben wird, wie er sagt.«
    »Aha.«
    »Und er will nicht sterben, ohne Ihre Leiche gesehen zu haben.«
    »Verstehe. Und wie haben Sie es geschafft, mich zu finden?«
    »Puh, da steckt viel Routinearbeit dahinter. Mein Beruf ist sehr langweilig, ich verbringe eine Unmenge Zeit damit, überall herumzuschnüffeln, bis mir irgendwann ein Licht aufgeht. So ging das Tag um Tag, aber schließlich habe ich begriffen, dass das Bebenhausen, das ich suchte, gar nicht in Baden-Württemberg liegt. Und jetzt habe ich sogar fast den Eindruck, als hätten Sie möglichen Verfolgern damit den Weg weisen wollen.«
    Er bemerkte, dass der Doktor sich ein Schmunzeln verkniff.
    »Hat Ihnen Bebenhausen gefallen?«
    »Sehr.«
    »Es ist mein verlorenes Paradies.« Doktor Müss wischte dieErinnerung mit einer Handbewegung weg, und jetzt lächelte er wirklich. »Sie haben lange gebraucht«, sagte er.
    »Wie gesagt … Als ich den Auftrag bekam, waren Sie sehr gut versteckt.«
    »Weil ich arbeiten und wiedergutmachen wollte.« Neugierig fragte er: »Wie gehen solche Aufträge vonstatten?«
    »Sehr professionell und sehr … kalt.«
    Doktor Müss stand auf, holte aus einem Schränkchen, wohl einem Kühlschrank, eine Schüssel, die mit einer unkenntlichen Masse gefüllt war, und stellte sie zusammen mit zwei Tellern und zwei Löffeln auf den Tisch.
    »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus … Aber in meinem Alter muss ich essen wie ein Vögelchen: wenig und oft. Sonst könnte ich in Ohnmacht fallen.«
    »Vertrauen Ihre Patienten denn einem so alten Arzt?«
    »Sie haben keinen anderen. Ich hoffe, das Krankenhaus wird nicht geschlossen, wenn ich sterbe. Ich verhandele das gerade mit den Behörden der Dörfer Beleke und Kikongo.«
    »Tut mir leid, Herr Doktor Budden.«
    »Ja.« Über den Brei in der Schüssel sagte er: »Das ist Hirse. Besser als gar nichts, glauben Sie mir.«
    Er bediente sich und schob seinem Gesprächspartner die Schüssel hin. Mit vollem Mund sagte er:
    »Was meinen Sie mit ›sehr kalt und sehr professionell‹?«
    »Ach, alles Mögliche …«
    »Nein, bitte, es interessiert mich wirklich.«
    »Also, zum Beispiel: Ich kenne meine Auftraggeber nicht. Und die mich natürlich auch nicht.«
    »Klingt logisch. Aber wie läuft das ab?«
    »Dafür gibt es Techniken. Man hat immer eine indirekte Kontaktmöglichkeit, aber man muss äußerst vorsichtig sein, um sicherzugehen, dass man es in jedem Fall mit der richtigen Person zu tun hat. Und man muss lernen, keine Spuren zu hinterlassen.«
    »Klingt auch logisch. Aber heute hat Makubulo Joseph Sie hierher gefahren, und der kann den Schnabel nicht halten, sodass er mittlerweile aller Welt erzählt haben dürfte …«
    »Er erzählt, was ich will, dass er erzählt. Was er verbreiten soll, habe ich ihm auf dem Silbertablett

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