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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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serviert. Sie werden verstehen, wenn ich nicht ins Detail gehe … Woher wissen Sie eigentlich, dass ich mit diesem Taxifahrer gekommen bin?«
    »Ich habe das Krankenhaus von Bebenbeleke vor vierzig Jahren gegründet. Ich erkenne hier jeden Hund am Bellen und jedes Huhn am Gackern.«
    »Heißt das, Sie sind aus Mariawald direkt hierher gekommen?«
    »Interessiert Sie das?«
    »Ich finde es faszinierend. Ich hatte viel Zeit, über Sie nachzudenken. Haben Sie immer allein gearbeitet?«
    »Ich arbeite nicht allein. Schon vor Sonnenaufgang sind hier drei Krankenschwestern, um die Patienten zu versorgen. Ich stehe auch früh auf, aber nicht ganz so früh.«
    »Es tut mir leid, Sie aufzuhalten.«
    »Heute ist eine Unterbrechung nicht so schlimm, denke ich.«
    »Und was tun Sie sonst noch so?«
    »Nichts. Ich widme für den Rest meines Lebens all meine Kraft den Bedürftigen, zu jeder Stunde, die mir noch bleibt.«
    »Das klingt nach religiösem Gelübde.«
    »Nun ja … Ich bin immer noch ein halber Mönch.«
    »Sie haben das Kloster doch verlassen.«
    »Ich bin aus dem Trappistenorden ausgetreten und habe das Kloster verlassen, aber ich fühle mich nach wie vor als Mönch. Ein Mönch ohne Klostergemeinschaft.«
    »Lesen Sie auch die Messe und das alles?«
    »Ich bin kein Priester. Non sum dignus.«
    Eine Pause entstand, in der sie den Hirsebrei fast aufaßen.
    »Schmeckt gut«, sagte der Besucher.
    »Mir hängt es, ehrlich gesagt, zum Hals heraus. Ich vermisse viele Gerichte. Sauerkraut, zum Beispiel. Ich erinnere mich nicht einmal mehr an den Geschmack, aber ich vermisse es.«
    »Hätte ich das gewusst …«
    »Aber nein, dass ich es vermisse, heißt ja nicht …« Er schluckte einen Löffel voll Hirse. »Ich verdiene kein Sauerkraut.«
    »Übertreiben Sie jetzt nicht? Also, es steht mir vielleicht nicht zu, aber …«
    »Es steht Ihnen ganz gewiss nicht zu.«
    Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen und schüttelte seinen Kittel, der noch immer blütenrein war. Er räumte die Schüssel ab, ohne den anderen zu fragen, und dann saßen sie einander an dem leeren Tisch gegenüber.
    »Und das Klavier?«
    »Habe ich aufgegeben. Non sum dignus. Sogar die Erinnerung an die Musik, die ich früher verehrt habe, verursacht mir Übelkeit.«
    »Jetzt übertreiben Sie wieder, nicht wahr?«
    »Verraten Sie mir Ihren Namen.«
    Schweigen. Der Besucher überlegte einen Moment.
    »Wozu?«
    »Aus Neugierde. Ich kann sowieso nichts damit anfangen.«
    »Lieber nicht.«
    »Wie Sie meinen.«
    Unwillkürlich mussten beide lächeln.
    »Ich selbst kenne meinen Auftraggeber nicht. Aber er hat mir ein Codewort genannt, das Sie aufklären wird, wenn Sie möchten. Sind Sie nicht neugierig zu erfahren, wer mich geschickt hat?«
    »Nein. Wer auch immer Sie schickt, mir sind Sie willkommen.«
    »Ich heiße Elm.«
    »Danke für Ihr Vertrauen, Elm. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich muss Sie bitten, sich eine andere Beschäftigung zu suchen.«
    »Ich erledige zurzeit meine letzten Aufträge. Ich setze mich zur Ruhe.«
    »Ich fände es schön, wenn dies ihr letzter Auftrag wäre.«
    »Das kann ich nicht versprechen, Herr Doktor Budden. Ich würde Ihnen gern eine heikle Frage stellen.«
    »Nur zu, ich habe Ihnen ja auch eine gestellt.«
    »Warum haben Sie sich nicht der Justiz überantwortet? Ich meine, als Sie aus dem Gefängnis entlassen wurden und glaubten, Ihre Verbrechen noch nicht gesühnt zu haben …, da hätten Sie doch …«
    »Im Gefängnis oder tot hätte ich den Schaden nicht wiedergutmachen können.«
    »Und wenn er nicht wiedergutzumachen ist, was dann?«
    »Wir sind eine Gemeinschaft, die auf einem Felsbrocken hockt und durchs Weltall schwirrt, als suchten wir ständig im Nebel nach einem Gott.«
    »Ich verstehe Sie nicht.«
    »Kann ich mir denken. Was ich damit sagen will, ist, dass man das Böse, das man einem Menschen angetan hat, an einem anderen wiedergutmachen kann. Entscheidend ist, dass man es wiedergutmacht.«
    »Außerdem wollten Sie sicher vermeiden, dass Ihr Name …«
    »Stimmt, auch das wollte ich vermeiden. Seit meiner Entlassung aus dem Gefängnis besteht mein Leben nur aus Verstecken und Wiedergutmachen. Wohlwissend, dass ich den Schaden, den ich angerichtet gabe, niemals werde gutmachen können. Seit sechzig Jahren schlage ich mich damit herum und habe es noch keinem Menschen anvertraut.«
    »Ego te absolvo und so weiter. Oder?«
    »Spotten Sie nicht. Damit habe ich es einmal versucht. Das Problem ist aber,

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