Das Schweigen des Sammlers
den Boden verstreuten Grießkörner. Missmutig fegte er das Gröbste mit einem Papiertaschentuch zusammen, verließ das Zimmer mit dem leeren Glas und pfiff eine unbekannte Melodie im Sechsachteltakt.
»Du machst mich richtig neidisch …«
Wieder verbrachten sie zehn Minuten schweigend.
»Morgen bringe ich die Manuskripte zu Bauçà, einverstanden? Beide. Das in Grün und das in Schwarz geschriebene. Das schwarz geschriebene habe ich Johannes Kamenek gegeben und deiner Kollegin Parera beide Seiten. In Ordnung? Deine Erinnerungen und deine Reflexionen. In Ordnung, Adrià?«
»Mich juckt es hier«, sagte Adrià und zeigte auf die Wand. Er sah seinen Freund an. »Wie ist es möglich, dass mich eine Wand juckt?«
»Ich halte dich auf dem Laufenden.«
»Meine Nase juckt auch. Und ich bin sehr müde. Ich kann nicht lesen, weil ich alles durcheinanderwerfe. Ich weiß schon nicht mehr, was du gerade gesagt hast.«
»Ich bewundere dich«, sagte Bernat und blickte ihm in die Augen.
»Ich tu es nie wieder. Versprochen.«
Bernat lachte nicht. Er betrachtete ihn stumm. Dann ergriff er die Hand, die immer wieder den hartnäckigen Fleck bearbeitete, undküsste sie wie einem Vater oder Onkel. Er schaute ihm in die Augen. Für einige Sekunden hielt Adrià seinem Blick stand.
»Du weißt, wer ich bin«, sagte Bernat, und es klang fast wie eine Feststellung.
Adrià sah ihn weiter an und nickte, wobei ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht erschien.
»Wer bin ich?« In Bernats Stimme lag scheue Hoffnung.
»Na, der … der … der Dings, oder?«
Bernat erhob sich mit ernster Miene.
»Nein?«, fragte Adrià unsicher. Er sah den anderen an, der jetzt vor ihm stand. »Aber ich weiß es doch. Der … der … Mir fällt nur der Name nicht ein. Ich weiß nicht, ob Sie das sind, aber es gibt da einen, ja, Mann, klar doch, einen namens …, fällt mir jetzt gerade nicht ein, aber ich weiß, wie er heißt. Er sorgt sehr gut für mich. Sehr gut. Er nennt mich … jetzt weiß ich nicht mehr, wie, aber das ist der, den ich meine.«
Und nach einer qualvollen Pause: »Richtig, Senyor?«
In Bernats Tasche vibrierte es. Er zog das Handy hervor. Eine SMS: »Wo steckst du?« Er beugte sich vor und küsste den Kranken auf die Stirn.
»Mach’s gut, Adrià.«
»Auf Wiedersehen. Kommen Sie bald wieder …«
»Ich heiße Bernat.«
»Bernat.«
»Ja: Bernat. Und verzeih mir.«
Bernat trat hinaus in den Korridor und wischte sich im Davongehen eine Träne weg. Verstohlen blickte er sich um und tippte eine Nummer.
»Wo zum Kuckuck treibst du dich herum?« Xènias leicht aufgebrachte Stimme.
»Nirgends. Wieso.«
»Wo bist du?«
»Nirgendwo. Ich arbeite.«
»Heute hattest du doch keine Probe, oder?«
»Nein, aber ich hatte anderes zu erledigen.«
»Los, komm her, ich habe Lust, mit dir zu vögeln.«
»Ich brauche noch eine gute Stunde.«
»Bist du noch in Hisenda?«
»Ja. Ich muss auflegen, hörst du? Tschüss.«
Er trennte die Verbindung, ehe Xènia weitere Erklärungen verlangen konnte. Eine Putzfrau zog den Karren mit ihren Arbeitsgeräten vorbei und bedachte ihn mit einem strengen Blick, weil er das Handy in der Hand hielt. Sie sah der Trullols ähnlich. Sehr ähnlich. Nörgelnd ging die Frau weiter den Flur entlang.
Doktor Valls legte die Handflächen aneinander wie zum Gebet und wiegte den Kopf.
»Die Medizin kann derzeit nicht mehr tun.«
»Aber er ist ein Gelehrter. Er ist intelligent. Ein Genie!« Er klang wie das Echo von Quico Ardèvol aus Tona. »Er beherrscht zehn, fünfzehn oder was weiß ich wie viele Sprachen!«
»Damit ist es jetzt vorbei. Das alles haben wir doch schon oft besprochen. Wenn man einem Sportler ein Bein amputiert, kann er keine Rekorde mehr aufstellen. Das verstehen Sie doch, oder? Und ungefähr so ist es hier auch.«
»Er hat fünf Bücher geschrieben, herausragende Werke auf dem Gebiet der Kulturgeschichte.«
»Das wissen wir … Aber darum schert sich die Krankheit nicht. So ist es halt, Senyor Plensa.«
»Und es gibt keinen Weg zurück?«
»Nein.«
Doktor Valls sah auf die Uhr, nicht demonstrativ, aber schon so, dass Bernat es bemerken musste. Trotzdem dauerte es noch eine Weile, bis dieser weitersprach.
»Kommt ihn sonst noch jemand besuchen?«
»Um ehrlich zu sein …«
»Er hat Vettern in Tona.«
»Die kommen ab und zu. Es ist hart.«
»Und sonst gibt es keinen, der …«
»Der eine oder andere Kollege von der Universität, aber … Er ist viel allein.«
»Armer
Weitere Kostenlose Bücher