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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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handelte, doch von weitem schien es ihm ein Text aus dem sechzehnten oder frühen siebzehnten Jahrhundert zu sein. Irgendwie spürte er trotz der fleckenlosen, peniblen Ordnung das Fehlen einer weiblichen Hand. Alles war zu sachlich, zu fachmännisch, um darin zu leben. Unwillkürlich schweifte sein Blick durch den ganzen Raum und über die vertraute, sehr zierliche Chippendale-Konsole in der Ecke. Senyor Berenguer ließ ihn gewähren, sicher nicht ohne Stolz. Sie nahmenPlatz. Der Ventilator, der sich vergeblich bemühte, die Hitze erträglicher zu machen, wirkte wie ein geschmackloser Anachronismus.
    »Na, so was«, wiederholte Senyor Berenguer.
    Adrià sah ihn an. Jetzt erkannte er den Geruch, der in der heißen Luft lag: Es war der Geruch des Ladens, derselbe, der ihn jedesmal umgeben hatte, wenn er sich unter der Aufsicht seines Vaters, Cecílias oder Senyor Berenguers dort aufhielt. Ein Heim mit dem Geruch und der Atmosphäre eines Geschäfts. Trotz seiner fünfundsiebzig Jahre war Senyor Berenguer offenbar noch nicht im Ruhestand.
    »Was also hat es mit dem Eigentümer der Geige auf sich?«, fragte ich unvermittelt.
    »Wie das Leben so spielt.« In seiner Miene lag unverhohlene Genugtuung.
    »Wie spielt das Leben denn so?«, fragte Sheriff Carson unwirsch.
    »Wie spielt das Leben denn so?«
    »Der Eigentümer ist aufgetaucht.«
    »Der sitzt hier vor Ihnen. Das bin ich.«
    »Nein. Das ist ein Herr aus Antwerpen, der schon ziemlich alt ist. Die Nazis haben ihm die Geige abgenommen, als er nach Auschwitz kam. Er hatte sie neunzehnhundertachtunddreißig gekauft. Nach den Einzelheiten müssen Sie den Herrn selbst fragen.«
    »Und wie kann er das belegen?«
    Senyor Berenguer lächelte und schwieg.
    »Ihnen bringt das sicher eine gute Provision.«
    Senyor Berenguer fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn, lächelte und schwieg aber weiter.
    »Mein Vater hat sie legal erstanden.«
    »Dein Vater hat sie sich unter den Nagel gerissen und gerade mal ein paar Dollar dafür bezahlt.«
    »Und woher wollen Sie das wissen?«
    »Ich war dabei. Dein Vater war ein Bandit, der jeden ausgenommen hat, egal wen. Zuerst die Hals über Kopf flüchtenden Juden, dann die geordnet und organisiert flüchtendenNazis. Und nebenbei jeden, der auf den Hund gekommen war und dringend Geld brauchte.«
    »Was ja wohl Teil seines Geschäfts war. Und bestimmt haben Sie ihn dabei unterstützt.«
    »Dein Vater war ein Mann ohne Skrupel. Er hatte eine Besitzurkunde verschwinden lassen, die in der Geige gefunden worden war.«
    »Ich kann Ihnen weder glauben noch trauen. Ich weiß, dass Sie zu allem fähig sind. Ich wüsste gern, wie Sie zu diesem Torrijos und dem Pedrell in der Diele gekommen sind.«
    »Das hat alles seine Ordnung, keine Sorge. Ich habe zu jedem meiner Stücke Dokumente. Ich bin kein Betrüger wie dein Vater. Die Art, wie er gestorben ist, hat er sich letztlich selbst zuzuschreiben.«
    »Was?« Stille. Senyor Berenguer lächelte spöttisch. Wahrscheinlich um ein wenig Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, nötigte mich Carson zu der Frage, habe ich Sie richtig verstanden, Senyor Berenguer?
    Senyor Falegnami hatte eine zierliche Damenpistole gezogen und zielte nervös auf Fèlix Ardèvol. Der rührte sich nicht vom Fleck, vielmehr schien er ein Lächeln zu unterdrücken und schüttelte den Kopf, als hätte ihm etwas gründlich die Laune verdorben.
    »Sie sind allein. Wie wollen Sie meine Leiche loswerden?«
    »Es wird mir ein innerer Reichsparteitag sein, mich mit diesem Problem zu befassen.«
    »Es gibt noch ein größeres: Wenn ich nicht auf meinen zwei Beinen aus dem Haus komme, wissen meine Männer da draußen ganz genau, was zu tun ist.« Herrisch wies er auf die Pistole. »Und jetzt bekomme ich sie für zweitausend. Ist Ihnen bewusst, dass Sie für die Alliierten eine der zehn meistgesuchten Personen sind?« Das sagte er aufs Geratewohl und in einem Ton, als tadelte er ein widerspenstiges Kind.
    Doktor Voigt sah, wie Ardèvol ein Bündel Geldscheine aus der Tasche nahm und auf den Tisch legte. Mit ungläubig aufgerissenen Augen ließ er die Pistole sinken. »Das sind gerade mal tausendfünfhundert.«
    »Gleich verliere ich die Geduld, Herr Doktor Voigt.«
    Dies war Fèlix Ardèvols Feuertaufe im Handelsgewerbe. Nach einer halben Stunde war er wieder draußen auf der Straße, die Geige in der Hand, und ging mit noch leicht beschleunigtem Puls, aber beschwingtem Schritt und dem befriedigenden Gefühl, gute Arbeit geleistet zu haben.

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