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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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waren.
    »Ich hatte Schwierigkeiten bei der Zollkontrolle am Flughafen.«
    »Alles geregelt?«
    Der Mann nahm den Hut ab und fächelte sich damit Luft zu. Er antwortete nur mit einer Geste: ja, alles geregelt.
    »Pater Morlin«, begann er.
    »Hier bin ich immer David Duhamel. Immer.«
    »Monsieur Duhamel. Was haben Sie herausgefunden?«
    »Eine Menge. Aber ich will Nägel mit Köpfen machen.«
    Und im Licht der zwölf Kerzen machte Pater Félix Morlin Nägel mit Köpfen. Er sprach flüsternd, während der andere aufmerksam zuhörte, als handelte es sich um eine Beichte ohne Beichtstuhl. Er sagte, Fèlix Ardèvol habe sein Vertrauen missbraucht, Doktor Zimmermanns Lage ausgenutzt und ihm die kostbare Geige praktisch gestohlen. Obendrein habe er das geheiligte Gesetz der Gastfreundschaft gebrochen, indem er Doktor Zimmermanns Versteck an die Alliierten verraten habe.
    »Dieser ungerechtfertigten Anzeige habe ich fünf Jahre Zwangsarbeit zu verdanken. Dafür, dass ich meinem Land im Krieg gedient habe.«
    »Einem Krieg gegen die Ausbreitung des Kommunismus.«
    »Gegen die Ausbreitung des Kommunismus, ganz recht.«
    »Und was haben Sie jetzt vor?«
    »Ihn finden.«
    »Schluss mit dem Blutvergießen«, rief Pater Morlin aus.»Auch wenn Ardèvol ein wetterwendischer Kerl ist und Sie geschädigt hat, ist er trotzdem noch mein Freund, das sollten Sie wissen.«
    »Ich will nur meine Geige zurück.«
    »Schluss mit dem Blutvergießen, habe ich gesagt. Andernfalls werden Sie mich kennenlernen.«
    »Ich habe nicht die Absicht, ihm ein Haar zu krümmen. Mein Ehrenwort.«
    Als wäre dieses Versprechen ein verlässliches Führungszeugnis, nickte Pater Morlin, zog einen gefalteten Zettel aus der Hosentasche und reichte ihn Zimmermann. Der faltete ihn auseinander, näherte ihn einer der Kerzen, überflog ihn, legte ihn wieder zusammen und ließ ihn in seiner Tasche verschwinden.
    »So war die Reise doch wenigstens zu etwas nütze.« Er fuhr sich mit dem Taschentuch übers Gesicht und sagte, Scheißhitze, wie kann man nur in einem solchen Land leben.
    »Wie haben Sie sich seit Ihrer Entlassung den Lebensunterhalt verdient?«
    »Als Psychiater natürlich.«
    »Ah.«
    »Und Sie, was verschlägt Sie nach Damaskus?«
    »Interne Ordensangelegenheiten. Aber Ende des Monats kehre ich ins Kloster Santa Sabina zurück.«
    Er sagte nichts von seinen Bemühungen, die ehrbare, von Monsignore Benigni vor vielen Jahren gegründete und vom Vatikan 1921 aufgelöste Spionageorganisation wiederzubeleben, weil die vatikanischen Behörden in ihrer Blindheit die einzige wirkliche Gefahr verkannt hatten: den Kommunismus, der ganz Europa verheeren würde. Auch sagte er ihm nicht, dass morgen der siebenundvierzigste Jahrestag seiner Zugehörigkeit zum Dominikanerorden war, in den er mit dem festen Entschluss eingetreten war, der Kirche notfalls unter Aufopferung seines Lebens zu dienen. Siebenundvierzig Jahre war es nun schon her, dass er um Aufnahme ins Ordenskloster von Liège gebeten hatte. Félix Morlin war im Winter 1320 in Girona geboren worden und in einer gottesfürchtigen und barmherzigen Familie aufgewachsen, die sich jeden Abend nach getaner Arbeit zusammenfand, um zu beten. Niemanden überraschte die Entscheidung des jungen Mannes, sich dem frisch gegründeten Dominikanerorden anzuschließen. Er studierte Medizin an der Universität in Wien und wurde mit einundzwanzig Jahren unter dem Namen Ali Bahr Mitglied der Nationalsozialistischen Partei Österreichs. Sein Ziel war es, ein guter Kadi oder ein guter Mufti zu werden, denn er bewunderte die Weisheit, den Gleichmut und die Gerechtigkeit seiner Lehrer. Kurz darauf trat er in die SS ein und erhielt die Mitgliedsnummer 367.744. Nachdem er auf dem Schlachtfeld von Buchenwald unter Doktor Eisel gedient hatte, schickte man ihn am 8. Oktober 1941 als Stabsarzt an die gefährliche Front von Auschwitz-Birkenau, wo er sich selbstlos für das Wohl der Menschheit einsetzte. Doktor Voigt, der Unverstandene, musste fliehen und sich mit verschiedenen Namen wie Zimmermann oder Falegnami tarnen und wartete jetzt im Kreis der Auserwählten geduldig auf den richtigen Zeitpunkt, um die Erde zurückzuerobern, sobald diese wieder eine Scheibe sein würde, die Scharia sich über die ganze Welt verbreitet hätte und allein die Frommen das Recht besäßen, im Namen des Barmherzigen auf ihr zu leben. Und dann würde die Welt von mysteriösem Nebel umwabert, und die Zuständigkeit für dieses Mysterium und alle, die sich

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