Das Schweigen des Sammlers
direkt mit Alpaerts?
»Der ist halb hinüber. Er wird’s nicht mehr lange machen.«
»Was für eine Erlösung, wenn ich nichts mehr von seiner kränklichen Schwiegermutter hören muss.«
»Tut er dir nicht leid, der arme Mann?«
»Matthias sagt, er will schon seit sechzig Jahren sterben. Wie soll er mir da leidtun, wenn er endlich stirbt?«
»Na los, Bob: Zeig uns, was du kannst.«
Und Bob Mortelmans begann, stellen Sie sich vor, Sie sitzen zu Hause beim Essen, mit Ihrer Frau, Ihrer kränklichen Schwiegermutter und Ihren drei kleinen Töchtern, der Tisch ist mit den blau-weiß karierten Sevietten gedeckt, weil Amelietje, die Älteste, Geburtstag hat, und plötzlich fliegt die Tür auf, ohne dass jemand angeklopft hätte, und sechs bis an die Zähne bewaffnete Männer stürmen herein, brüllen alle zugleich, schnell, schnell, schnell, und raus, raus, und Amelietje fragt, was heißt raus, Papa?, und ich konnte es nicht verhindern und habe keinen Finger gerührt, um sie zu retten.
»Perfekt. Das reicht.«
»Halt, halt, ich kann noch mehr, ich …«
»Ich sagte, das reicht. Willst du dir eine ordentliche Stange Geld verdienen?«
»Und ich sagte ja, und da haben sie mich in ein Flugzeug nach Barcelona gesetzt, und dort haben wir es dann noch ein paar Mal geprobt, mit Varianten, aber es musste immer die wahre Geschichte von Matthias sein, dieser Nervensäge.«
»Und das, während Ihr Freund krank im Bett lag.«
»Er war nicht mein Freund. Er war eine hängengebliebene Schallplatte. Als ich nach Antwerpen zurückkam, war er schon tot.« Um den hochgewachsenen Polizisten zu versöhnen, fügte er hinzu. »Als hätte er es ohne mich nicht ausgehalten, wissen Sie?«
Bernat schwieg. Bob Mortelmans strebte wieder in Richtung Tür. Ohne von seinem Stuhl aufzustehen, ja ohne einen Muskel zu rühren, sagte Bernat, wenn Sie versuchen abzuhauen, breche ich Ihnen das Rückgrat, verstanden?
»Uff. Vollkommen.«
»Sie sind ein Bastard. Sie haben ihm die Geige gestohlen.«
»Aber er wusste ja nicht einmal, dass jemand sie hatte …«
»Sie sind ein Bastard. Sich für hunderttausend Francs zu verkaufen …«
»Ich habe es nicht fürs Geld getan. Und es waren fünfzigtausend. Und belgische Francs.«
»Und Sie haben den armen Adrià Ardèvol bestohlen.«
»Wer ist das denn?«
»Der Herr in Barcelona, den Sie betrogen haben.«
»Ich schwöre Ihnen, ich hab’s nicht fürs Geld getan.«
Bernat sah ihn neugierig an. Dann nickte er ihm zu, wie um ihn zum Weiterreden zu ermuntern. Aber Bob schwieg.
»Und warum haben Sie es dann getan?«
»Es war … es war die Gelegenheit … Es war … die Rolle meines Lebens. Deshalb habe ich ja gesagt.«
»Es war auch die bestbezahlte Rolle Ihres Lebens.«
»Das stimmt. Aber ich habe auch eine Glanzleistung abgeliefert. Noch dazu musste ich improvisieren, weil dieser Kerl mich in ein Gespräch verwickelt hat. Und da musste ich nicht nur meinen Monolog aufsagen, sondern mir auch noch eine Unterhaltung einfallen lassen.«
»Und?«
»Es ist mir gelungen«, sagte er und dann, voller Stolz: »Ich habe mich vollständig in meine Figur versetzen können.«
Bernat dachte, jetzt erwürge ich ihn. Aber Bob Mortelmans war, angespornt vom bewundernden Schweigen des Polizisten, schon wieder in seine Lieblingsrolle geschlüpft, wenn er auch etwas zu dick auftrug: »Vielleicht habe ich bis zum heutigen Tag überlebt, an dem ich dir meine Geschichte erzähle, weil ich an Amelietjes Geburtstag feige war. Oder weil ich an jenem verregneten Samstag dem alten Moshe aus Vilnius einen offensichtlich verschimmelten Kanten Brot gestohlen habe. Oder weil ich mich blitzschnell geduckt habe, als derBlockführer uns wieder einmal traktierte, und der Hieb, der eigentlich mit zugedacht war, einen Jungen tötete, der …«
»Das reicht!«
Bernat stand auf, und Bob Mortelmans dachte, jetzt wird er sich auf mich stürzen und mich verprügeln. Er krümmte sich auf seinem Stuhl zusammen, bereit und willens, in dieser Haltung die weiteren Fragen zu beantworten, sämtliche Fragen, die ihm dieser Inspektor von Interpol stellen wollte.
Bernat sagte, mach den Mund auf, Adrià öffnete den Mund, wie Llorenç es als Einjähriger getan hatte, und Bernat schob ihm den Löffel hinein und sagte, die schmeckt lecker, die Grießsuppe, was? Adrià sah ihn an und sagte nichts.
»Was denkst du?«
»Ich?«
»Ja, du.«
»Ich weiß es nicht.«
»Wer bin ich?«
»Der Dings.«
»Hier, iss noch einen Löffel. Na komm, mach
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