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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Adrià und die Verwaltung seiner Angelegenheiten nicht genug danken konnten, fuhr Bernat nach Uppsala, um Laura Baylina zu treffen.
    »Wie schrecklich. Armer Adrià.«
    »Ja.«
    »Verzeihung, aber ich glaube, ich muss gleich weinen.«
    »Wein ruhig.«
    »Nein. Was hat dir Adrià für mich aufgetragen?«
    Während Bernat in seinen glühendheißen Tee pustete, berichtete er von den Verfügungen des Testaments, die Laura betrafen.
    »Der Urgell? Aus dem Esszimmer?«
    »Ach, du kennst ihn?«
    »Ja. Ich war ein paar Mal bei ihm zu Hause.«
    Was hast du uns nicht alles verschwiegen, Adrià, dachte Bernat. Erst heute habe ich Laura wirklich kennengelernt. Wie viel wir Freunde doch voreinander verbergen.
    Laura Baylina war hübsch, blond, klein und nett. Sie sagte ihm, sie müsse sich erst noch überlegen, ob sie das Erbe annehmen wolle. Bernat versicherte ihr, es sei ein Geschenk ohne jeden Hintergedanken.
    »Die Steuern. Ich weiß nicht, ob ich mir die Erbschaftssteuer – oder wie auch immer das heißt – für dieses Bild leisten kann. Hier in Schweden müsste ich einen Kredit aufnehmen, das Erbe antreten, die Steuern zahlen und dann das Bild verkaufen, um den Kredit zurückzahlen zu können.«
    Also ließ Bernat Laura mit ihrem immer noch dampfenden Tee und ihren Überlegungen allein und kehrte nach Barcelona zurück. Dort hatte er gerade noch Zeit, um zweimalige Freistellung von denOrchesterproben aufgrund dringender Familienangelegenheiten zu bitten und ungerührt die Übellaunigkeit des Orchesterleiters über sich ergehen zu lassen, bevor er zum zweiten Mal innerhalb der letzten zwei Monate in den Flieger stieg, diesmal nach Brüssel.
    Sein Ziel war ein Altenheim in Antwerpen. Dort angekommen, lächelte er die füllige Empfangsdame an, die gleichzeitig das Telefon und den Computer bediente, wartete, bis sie ihr Telefonat beendet hatte, lächelte noch breiter und fragte, Englisch oder Französisch? Und als die Dame sagte, Englisch, fragte er nach Herrn Matthias Alpaerts. Die Frau sah ihn neugierig an, genauer gesagt, sie musterte ihn aufmerksam, oder so zumindest fühlte er sich: wie unter die Lupe genommen.
    »Wen wollten Sie sprechen, sagten Sie?«
    »Herrn Matthias Alpaerts.«
    Die Frau überlegte kurz, dann sah sie im Computer nach. Sie starrte eine Zeitlang auf den Bildschirm, während sie zwei Telefongespräche annahm und weiterleitete. Dann sagte sie, klar, Alpaerts! Sie betätigte eine andere Taste, sah wieder auf den Bildschirm und dann Bernat an: »Herr Alpaerts ist 1997 verstorben.«
    »Na so was … Ich …«
    Er wollte schon gehen, da kam ihm plötzlich ein verrückter Gedanke: »Dürfte ich mal einen Blick in seine Akte werfen?«
    »Sie sind kein Angehöriger, oder?«
    »Nein.«
    »Dürfte ich erfahren, welches Interesse …«
    »Ich wollte ihm eine Geige abkaufen.«
    » Jetzt weiß ich, wer Sie sind!«, rief die Dame plötzlich erleichtert aus.
    »Ich?«
    »Zweite Geige beim Antigone-Quartett.«
    Einen Augenblick lang träumte Bernat Plensa vom Ruhm. Er lächelte geschmeichelt.
    »Sie haben aber ein gutes Gedächtnis«, sagte er schließlich, um irgendetwas zu sagen.
    »Ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter«, erklärte sie. »Außerdem: Jemand, der so groß ist wie Sie …« Dann gestand sie verlegen: »Aber ich weiß Ihren Namen nicht mehr.«
    »Bernat Plensa.«
    »Bernat Plensa …« Sie streckte ihm die Hand hin. »Liliana Moor. Ich habe Sie vor zwei Monaten in Gent gehört. Mendelssohn, Schubert, Schostakowitsch.«
    »Also … ich …«
    »Ich sitze gerne in der ersten Reihe, direkt vor den Musikerm.«
    »Sind Sie Musikerin?«
    »Nein. Bloß Musikliebhaberin. Warum wollten Sie etwas über Herrn Alpaerts wissen?«
    »Wegen der Geige …« Bernat zögerte kurz. »Ich wollte nur ein Foto von seinem Gesicht sehen.« Er lächelte. »Bitte … Liliana.«
    Fräulein Moor überlegte einen Moment, dann drehte sie zu Ehren des Antigone-Quartetts den Bildschirm so herum, dass Bernat ihn sehen konnte. Statt eines schlanken Mannes mit tränenfeuchtem Blick, üppiger weißer Mähne und abstehenden Ohren, jener aufwühlenden, schweigenden Gestalt, die er für eine halbe Minute in Adriàs Arbeitszimmer gesehen hatte, als er ihm den Computer brachte, zeigte ihm der Flachbildschirm einen zwar traurigen, aber dicken, kahlen Mann mit den runden pechschwarzen Augen seiner ich weiß nicht mehr welcher Tochter. Mistkerle.
    Die Empfangsdame drehte den Bildschirm zurück, und Bernat brach der Entsetzensschweiß

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