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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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ist das Holz, das ich Euch anbiete, Maestro Antonio. Wenn Ihr es nicht wollt, verkaufe ich es Guarneri oder irgendeinem anderen. Ich bin müde. Ich möchte nach Hause und nachsehen, ob meine Geschwister noch alle am Leben sind. Ich will wissen, ob Agno, Jenn, Max, der geistesschwache Hermes, Josef, der hinkende Theodor, Micurà, Ilse, Erica, Katharina, Matilde, Gretchen und die kleine Bettina, die mir das Medaillon mit der heiligen Maria dai Ciüf geschenkt hat, noch leben.«
    Als Antonio Stradivari aufging, dass sich Guarneri unter Umständen das Holz unter den Nagel reißen könnte, zeigte er sich großzügig und zahlte einen guten Preis für die Ladung, die ihm eine Menge Kopfzerbrechen ersparen würde, wenn er sie in aller Ruhe ablagern ließ und in einigen Jahren verarbeitete. Seine Zukunft war gesichert. Und so wurden die Geigen, die er zwanzig Jahre später herstellte, seine allerbesten. Er konnte das noch nicht wissen, doch Omobono und Francesco wussten es sehr wohl, und als nach dem Tod des Meisters noch einige Platten des mysteriösen Holzes aus dem Westen übrig waren, verwendeten sie diese so sparsam wie möglich. Und als auch sie gestorben waren, ging die Werkstatt auf Carlo Bergonzi über, einschließlich der Ecke mit dem Holz, das ein Geheimnis barg. Und Bergonzi gab das Geheimnis an seine beiden Söhne weiter. Der jüngste der Bergonzis, mittlerweile Maestro Zosimo, prüfte das erste Instrument des jungen Lorenzo im Licht am Fenster der Cucciatta.Dann schaute er ins Innere: Laurentius Storioni Cremonensis me fecit 1764.
    »Warum hast du cremonensis unterstrichen?«
    »Weil ich stolz bin, aus Cremona zu sein.«
    »Das ist eine Signatur. Die musst du in allen deinen Geigen gleich machen.«
    »Ich werde immer stolz darauf sein, in Cremona geboren zu sein, Maestro Zosimo.«
    Befriedigt gab Zosimo Lorenzo die bleiche Geige zurück, und der legte sie wieder in den grob gezimmerten Kasten.
    »Verrate niemandem, wo du das Holz her hast. Und besorge dir welches, damit du in ein paar Jahren etwas hast. Zu jedem Preis, wenn du eine Zukunft haben willst.«
    »Ja, Maestro.«
    »Und mach mit dem Lack nichts falsch.«
    »Ich weiß schon, wie es geht, Maestro.«
    »Ich weiß, dass du es weißt. Aber mach nichts falsch.«
    »Was schulde ich Euch für das Holz, Maestro?«
    »Nur einen Gefallen.«
    »Ich stehe Euch zu Diensten …«
    »Halte dich von meiner Tochter fern. Sie ist zu jung.«
    »Was?«
    »Du hast es gehört. Ich will es nicht zweimal sagen müssen.« Er streckte die Hand nach dem Geigenkasten aus. »Oder ich bekomme die Geige, und du gibst mir das Holz zurück, das du nicht verbraucht hast.«
    Storioni wurde so blass wie seine erste Geige. Er wagte dem Maestro nicht in die Augen zu sehen und verließ stumm Zosimo Bergonzis Werkstatt.
    Lorenzo Storioni verbrachte mehrere Wochen mit der Lackierung und begann mit einer neuen Geige, während ihm der Preis, den Zosimo von ihm verlangt hatte, keine Ruhe ließ. Als der Klang so war, wie er sein musste, konnte Monsieur La Guitte, der sich immer noch in Cremona herumtrieb, den leicht abgedunkelten Farbton der Lackierung bewundern, der zum Merkmal der Storionis werden sollte. Er reichte die Geige dem stillen, mageren Jungen, der denBogen ergriff und sie erklingen ließ. Lorenzo Storioni liefen die Tränen übers Gesicht, wegen des Klangs und wegen Maria. Der Klang war noch schöner als der, den er dem Instrument entlockt hatte. Maria, ich liebe dich. Mit jeder Träne erhöhte er den ursprünglich vorgesehenen Preis um einen Florin.
    »Tausend Florin, Monsieur de La Guitte.«
    La Guitte blickte ihm zehn unbehagliche Sekunden lang in die Augen. Dann schielte er zu dem mageren, wortkargen Jungen hinüber und sah, wie dieser zum Zeichen des Einverständnisses die Lider senkte. Und Storioni dachte, dass er sicher noch ein wenig mehr hätte herausholen können und dass er das noch lernen müsse.
    »Wir dürfen uns nicht mehr sehen, liebste Maria.«
    »Das ist ein wahres Vermögen«, sagte La Guitte mit einer unwilligen Grimasse.
    »Euer Gnaden wissen, dass sie es wert ist.« Lorenzo nahm all seinen Mut zusammen und ergriff die Geige. »Wenn Ihr sie nicht wollt, nächste Woche erwarte ich weitere Käufer.«
    »Warum denn, Lorenzo, Liebster?«
    »Mein Kunde wird eine Stradivari wollen oder eine Guarneri … Ihr habt Euch noch keinen Namen gemacht. Storioni! Connais pas.«
    »In zehn Jahren wird jeder eine Storioni haben wollen.« Er legte die Geige in ihren schützenden

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