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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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mich aus den Augenwinkeln an. »Oder nicht?«
    »Nein. Sie diskutieren über mich, aber lieben tun sie mich nicht.«
    »Pah, ich mach mir gar nichts aus der Küsserei …«
    Als Mutter Lola Xica losschickte, bei Rosita die Schürzen abzuholen, wusste ich, dass unser Moment gekommen war.Wie zwei Diebe in der Nacht, wie der Tag des Herrn, schlichen wir in das verbotene Haus. Eisern schweigend, stahlen wir uns in Vaters Arbeitszimmer, wobei wir aufmerksam auf das gelegentliche Rascheln aus dem Hinterzimmer horchten, wo Mutter und Senyora Angeleta die Wäsche durchsahen. Es dauerte ein paar Minuten, bis wir uns an die Dunkelheit und an die stickige Luft gewöhnt hatten, die in diesem Raum immer herrschte.
    »Was für ein komischer Gestank«, sagte Bernat.
    »Pssst!«, zischte ich ein wenig theatralisch, weil mir jetzt, da wir uns anzufreunden begannen, vor allem daran gelegen war, Bernat zu beeindrucken. Das sei kein Gestank, sagte ich, sondern die Last der Vergangenheit, die auf den Objekten der Sammlung ruhe; er verstand nicht, was ich meinte, und wahrscheinlich wusste ich selbst nicht, dass das der Wahrheit entsprach.
    Sobald unsere Augen das Dunkel zu durchdringen begannen, warf Adrià als Erstes einen befriedigten Blick auf Bernats entgeisterte Miene, denn der nahm inzwischen keine seltsamen Gerüche mehr wahr, sondern spürte die Last der Vergangenheit auf den Objekten, die sich immer deutlicher vor ihm abzeichneten. Zwei Tische, einer bedeckt von Manuskripten, und eine eigenartige Lampe, die zugleich … Was ist denn das? Ah, eine Lupe. Klasse! … Und ein Haufen alter Bücher. An der hinteren Wand ein Regal mit noch älteren Büchern, an der linken etliche kleine Bilder.
    »Sind die wertvoll?«
    »Uff!«
    »Was heißt uff?«
    »Eine Skizze von Vayreda.« Stolz wies Adrià auf das unvollendete Bild.
    »Ah.«
    »Weißt du, wer Vayreda ist?«
    »Nein. Ist die viel wert?«
    »Sehr viel. Und das hier ist ein Stich von Rembrandt. Kein Einzelstück, denn sonst …«
    »Aha.«
    »Weißt du, wer Rembrandt ist?«
    »Nein.«
    »Und dieses kleine hier …«
    »Das ist sehr hübsch.«
    »Ja. Das ist das wertvollste.«
    Bernat ging so nah an die blassgelben Gardenien von Abraham Mignon heran, als wollte er an ihnen schnuppern. Oder eher, als wollte er den Preis erschnuppern.
    »Wie viel kostet das?«
    »Zigtausend Peseten.«
    »Oho!« Ein Augenblick der Meditation. »Wie viele Tausend?«
    »Ich weiß nicht, jedenfalls viele.«
    Besser, ich ließ ihn im Ungewissen. Ein guter Anfang, jetzt fehlte nur noch der Clou. Also drehte ich ihn mit dem Gesicht zur Vitrine, und er fuhr sofort auf und sagte, hey, was ist denn das?
    »Ein Kaiken-Dolch der Bushi«, sagte Adrià stolz.
    Bernat öffnete den Glasschrank, und ich schielte besorgt zur Zimmertür; er nahm den Kaiken-Dolch der Bushi heraus, betrachtete ihn neugierig von allen Seiten, trat zum Balkon, um ihn besser zu sehen, und zog ihn aus der Scheide.
    »Sei vorsichtig«, raunte ich geheimnisvoll, als wäre er nicht schon verblüfft genug.
    »Was ist das, ein Kaikendolch Derbuschi?«
    »Das ist ein Dolch, den die japanischen Kriegerinnen benutzen, um sich umzubringen.« Und mit gesenkter Stimme wiederholte ich: »Ein Selbstmordinstrument.«
    »Und warum bringen die sich um?« Ohne Erstaunen, ohne Erregung, der Dummkopf.
    »Na ja …« Ich bemühte meine Phantasie und behauptete: »Wenn in ihrem Leben etwas schiefläuft, wenn sie verloren haben.« Und um noch eins draufzusetzen: »Edo-Periode, sechzehntes Jahrhundert.«
    »Boh!«
    Aufmerksam betrachtete er den Dolch und stellte sich vermutlich den Selbstmord einer japanischen Kriegerin Derbuschi vor. Adrià nahm ihm den Dolch aus der Hand, schob ihn in die Scheide zurück und legte ihn mit übertriebener Sorgfalt wieder in den Schrank der Kostbarkeiten. Dann schloss er lautlos die Tür. Das war der Augenblick, seinen Freund endgültig aus der Fassung zu bringen. Bis dahin war ich noch unschlüssig gewesen, jetzt aber ließ ich alle Besonnenheit fahren, um Bernats bemühte Gleichgültigkeit zunichte zu machen. Ich legte den Finger an die Lippen und forderte absolutes Stillschweigen, schaltete die gelbliche Ecklampe an und drehte am Kombinationsschloss des Tresors: sechs, eins, fünf, vier, zwei, acht. Vater sicherte die Tür nie mit dem Schlüssel, nur mit der Zahlenkombination. Ich öffnete die geheime Schatzkammer des Tutenchamun. Ein paar antike Schriftrollen, zwei verschlossene Kästchen, viele Umschläge mit Dokumenten, drei

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