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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Bündel Geldscheine und im untersten Fach ein Geigenkasten mit einem Fleck unbekannter Herkunft auf dem Deckel. Sehr behutsam nahm ich ihn heraus, klappte ihn auf, und da lag strahlend unsere Storioni. Strahlender denn je. Ich trug sie ans Licht und hielt ihm das eine F-Loch unter die Nase.
    »Lies«, befahl ich.
    »Laurentius Storioni Cremonensis me fecit.« Staunend hob er den Kopf. »Was heißt das?«
    »Lies bis zum Ende«, mahnte ich geduldig.
    Bernat beugte sich über das Schallloch und starrte ins Innere der Geige. Er musste den Klangkörper in die richtige Lage bringen, um eins, sieben, sechs, vier entziffern zu können.
    »Siebzehnhundertvierundsechzig«, half ihm Adrià auf die Sprünge.
    »Uiuiui … Lass sie mich mal spielen. Mal sehen, wie sie klingt.«
    »Ja, ja, damit mein Vater uns die Hölle heiß macht. Du darfst sie nur mit einem einzigen Finger berühren.«
    »Warum?«
    »Das ist das kostbarste Stück im ganzen Haus, kapiert?«
    »Mehr als die gelben Blumen von diesem Dingsda?«
    »Viel mehr. Viel, viel mehr.«
    Jedenfalls strich Bernat mit dem Finger darüber, und als ich einen Augenblick nicht aufpasste, zupfte er an der D-Saite, die einen samtweichen Ton von sich gab.
    »Ein bisschen zu tief.«
    »Hast du das absolute Gehör?«
    »Was?«
    »Woher weißt du, dass sie ein bisschen zu tief ist?«
    »Weil das D ein ganz klein wenig höher sein muss, ganz wenig, nur eine Spur.«
    »Mein lieber Scholli, du machst mich richtig neidisch!« Auch wenn es an diesem Nachmittag darum ging, Bernat zum Staunen zu bringen, kam dieser Ausruf aus vollem Herzen.
    »Warum?«
    »Weil du das absolute Gehör hast.«
    »Was heißt das?«
    »Vergiss es.« Und um meinen Faden wieder aufzunehmen: »Siebzehnhundertvierundsechzig, hast du gehört?«
    »Siebzehnhundertvierundsechzig …«, wiederholte er mit ehrlicher Bewunderung, und das freute mich sehr. Er streichelte sie noch einmal, so zärtlich wie damals, als er sagte, jetzt ist sie fertig, liebste Maria. Und sie wisperte, ich bin stolz auf dich. Lorenzo liebkoste die Decke, und ihm schien, als erschauerte das Instrument, und Maria spürte einen Stich von Eifersucht. Mit beiden Händen folgte er bewundernd dem Schwung der Zarge. Er legte sie auf den Tisch seiner Werkstatt und trat zurück, bis er den intensiven Duft des wundervollen Tannen- und Ahornholzes nicht mehr wahrnehmen konnte, und betrachtete voller Stolz das Gesamtbild. Maestro Zosimo hatte ihn gelehrt, dass eine gute Geige nicht nur schön klingen, sondern auch ein Genuss für das Auge sein soll und getreulich die Proportionen einhalten muss, die ihren Wert ausmachen. Er war zufrieden. Mit einem Schatten von Zweifel, weil er noch nicht wusste, was ihn das Holz kosten würde. Aber dennoch zufrieden. Es war die erste Geige, die er ganz allein gebaut hatte, und er wusste, dass sie ihm sehr gut gelungen war.
    Lorenzo Storioni lächelte erleichtert. Er wusste, dass auchder Klang erst durch die Lackierung die nötige Farbe erhalten würde, und war unsicher, ob er sie zunächst Maestro Zosimo zeigen oder sie Monsieur La Guitte direkt anbieten sollte, von dem es hieß, er sei der Leute von Cremona ein wenig überdrüssig und werde bald nach Paris zurückkehren. Das Gefühl der Loyalität gegenüber seinem Lehrmeister trieb ihn aber dann doch mit dem noch leichenblassen Instrument in einer provisorischen Kiste zur Werkstatt von Zosimo Bergonzi. Drei Köpfe hoben sich von ihrer Arbeit, als er eintrat. Der Maestro deutete das Lächeln seines Schülers richtig, ließ den Boden für ein Violoncello, den er gerade glattschliff, auf der Werkbank liegen und führte Lorenzo ans Fenster zur Straße, wo das Licht zur Prüfung von Instrumenten am besten war. Schweigend nahm Lorenzo die Geige aus dem Pinienholzkoffer und reichte sie dem Meister. Als Erstes streichelte Zosimo Bergonzi den Boden und die Decke. Er erkannte, dass genau das dabei herausgekommen war, was er sich erhofft hatte, als er seinem Schüler vor einigen Monaten das außergewöhnliche Holz heimlich zugesteckt hatte, damit Lorenzo unter Beweis stellen konnte, dass er wirklich etwas bei ihm gelernt hatte.
    »Das wollt Ihr mir wirklich schenken?«, hatte Lorenzo Storioni bestürzt gefragt.
    »Mehr oder weniger.«
    »Aber das ist das Holz, das …«
    »Richtig. Das Jachiam de Pardàc geliefert hat. Jetzt hat es genau die richtige Reife.«
    »Ich möchte den Preis wissen, Maestro.«
    »Ich habe dir doch gesagt, du sollst dir darum keine Sorgen machen. Wenn du die

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