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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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leid, Senyora, aber wir sind nicht befugt, Ihnen das zu sagen, und sie hatte mit elegantem Schwung den roten Mantel übergeworfen und zu Lola Xica gesagt, kümmere dich um das Essen für den Jungen, ich bin gleich wieder da, und jetzt saß sie da in ihrem roten Mantel, starrte blicklos auf die verschrammte Tischplatte des Kommissars und dachte, das kann nicht wahr sein. Und mit lauter, flehender Stimme fragte sie, können Sie mir erklären, was passiert ist?
    »Keine Spur, Kommissar«, sagte der mit dem dünnen Oberlippenbart.
    Weder im Ateneu noch im Hotel Colón, noch sonst wo in Barcelona war eine Spur von Professor Pinheiro zu finden. Vielmehr vernahmen sie bei ihrem Anruf in Coimbra die zu Tode erschrockene Stimme von Dr. Horacio da Costa Pinheiro, der nichts weiter herausbrachte als a-a-aber, wie ist das möglich, da-da-dass … aber Dr. Ardèvol war doch, er war doch … Oh, das ist ja entsetzlich. Wenn … wenn er … sind Sie sicher, dass keine Verwechslung vorliegt? Enthauptet? Und woher wissen Sie dann, dass … Meinen Sie nicht, dass … Das ist unmöglich.
    »Dein Vater … mein Sohn, dein Vater ist im Himmel.«
    Da begriff ich, dass ich an seinem Tod schuld war. Doch das konnte ich niemandem sagen. Und während Lola Xica, meine Mutter und Senyora Angeleta Kleidung für den Verstorbenen zusammensuchten und immer wieder in Tränen ausbrachen, fühlte ich mich wie ein niederträchtiger, feiger Mörder. Und noch vieles mehr, dessen ich mich nicht mehr entsinne.
    Am Tag nach der Beerdigung rang meine Mutter unruhig die Hände, bis sie mit einem Mal stocksteif wurde und zu Lola Xica sagte, gib mir die Visitenkarte von Kommissar Plasencia. Adrià hörte sie telefonieren und sagen, in unserem Haus gibt es eine sehr wertvolle Geige. Als der Kommissar erschien, hatte Mutter zur Unterstützung Senyor Berenguer dazugerufen.
    »Niemand kennt die Zahlenkombination des Tresors?«
    Der Kommissar wandte sich an meine Mutter, Senyor Berenguer und Lola Xica und mich, der ich vor der Tür des Arbeitszimmers stand und zuschaute.
    Senyor Berenguer fragte nach unseren Geburtstagen, dem meiner Mutter und meinem, und probierte ein paar Minuten lang, das Schloss zu öffnen.
    »Nichts«, sagte er schließlich bekümmert. Und mir, draußen im Flur, wäre um ein Haar sechs eins fünf vier zwei acht herausgerutscht, aber das konnte ich nicht sagen, denn damit hätte ich mich verdächtig gemacht. Und ich war nicht verdächtig. Ich war nur schuldig. Ich schwieg, so schwer es mir auch fiel. Der Kommissar telefonierte vom Apparat des Arbeitszimmers aus, und wenige Minuten später konnten wir einen dicken Herrn beobachten, der stark schwitzte, weil ihn das Bücken offenbar sehr anstrengte, der aber mit viel Fingerspitzengefühl, einem Stethoskop und vollkommener Ruhe die Kombination ermittelte und sie auf einen geheimen Zettel schrieb. Wie ein Zeremonienmeister öffnete er befriedigt den Tresor und richtete sich danach mühsam auf, um den anderen Platz zu machen. Im Tresor lag die Storioni, nackt, ohne ihren Geigenkasten, und sah mich höhnisch an. Nun war die Reihe an Senyor Berenguer, der sie mit Handschuhen herausnahm, im Schein der Tischlampe aufmerksam untersuchte, dann den Kopf und die rechte Braue hob und mit einer gewissen Feierlichkeit zu meiner Mutter, zum Kommissar, zu dem Dicken, der sich den Schweiß von der Stirn wischte, zu Sheriff Carson, zu Schwarzer Adler und zu mir, die wir auf der anderen Seite der Tür lauerten, sagte: »Ich versichere Ihnen, dass dies die Geige ist, die man unter demNamen Vial kennt und die von Lorenzo Storioni hergestellt wurde. Ohne jeden Zweifel.«
    »Ohne Geigenkasten? Bewahrt er sie immer ohne Kasten auf?«, fragte der nach Tabak stinkende Kommissar.
    »Ich glaube nicht«, sagte meine Mutter, »ich glaube, er bewahrte sie im Geigenkasten im Tresor auf.«
    »Und aus welchem Grund soll er den Kasten herausgenommen, aufgemacht, die Geige in den Tresor gelegt und diesen wieder abgeschlossen haben, um dann den Jungen um seine Übungsgeige zu bitten und diese in den Kasten der guten zu legen?«
    Er schaute in die Runde. Sein Blick fiel auf mich, der ich in der Tür stand und mich zusammenreißen musste, um nicht vor Angst zu zittern. Le tremblement de la panique. Sekundenlang las ich in seinen Augen, dass er das Geheimnis bereits ergründet hatte. Ich sah mich schon den Rest meiner bbeschissenen Existenz Französisch reden.
    Ich weiß nicht, was geschehen war, ich weiß nicht, was mein Vater

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