Das Schweigen des Sammlers
mir.
»Ihnen?«
»Mir persönlich. Aus dem Nachlass meines Vaters. Dr. Adrià Bosch.«
»Davon wusste ich nichts.«
»Ich bis vor kurzem auch nicht. Mein Mann war nicht besonders zimperlich in diesen Dingen. Ich habe Dokumente, die es belegen.«
»Und wenn sie schon verkauft sind?«
»Dann steht mir der Erlös zu.«
»Aber das ist ein Geschäft, das …«
»Eben darum bin ich hier. Ab sofort führe ich den Laden.«
Senyor Berenguer sah sie mit offenem Mund an. Sie lächelte freudlos und sagte, ich will die Buchführung sehen. Jetzt gleich.
Senyor Berenguer brauchte einige Sekunden, um sich zu fassen. Dann stand er auf, ging hinaus zu Cecília, gab ihr kurze herrische Anweisungen, und als er mit einem Stapel Geschäftsbüchern wieder ins Büro kam, saß Senyora Ardèvol in Fèlix’ grauem Sessel und erteilte ihm mit einer Geste die Erlaubnis, näher zu treten.
Mutter kam zitternd nach Hause, und kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, streifte sie den Mantel ab und machte sich nicht einmal die Mühe, ihn aufzuhängen, sondern ließ ihn auf den Schemel im Eingangsbereich fallen und verschwand in ihrem Zimmer. Ich hörte sie weinen und hielt es für besser, mich nicht in Dinge einzumischen, von denen ich nichts verstand. Danach unterhielt sie sich lange in der Küche mit Lola Xica, und ich sah Lola Xica ihre Hand auf die Hand meiner Mutter legen, als wollte sie ihr Mut zusprechen. Es dauerte Jahre, bis ich mir einen Reim auf diese Szene machen konnte, die ich noch heute vor mir sehe, als wäre es ein Bild von Hopper. Meine gesamte Kindheit steht vor meinem inneren Auge wie eine Diaschau von Hopper-Gemälden, mit der gleichen zähen, geheimnisvollen Einsamkeit. Und ich fühle mich wie eine seiner Figuren, die auf einem zerwühlten Bett sitzt und aus dem Fenster sieht, neben sich ein weggelegtes Buch auf einem nackten Stuhl, oder die an einem leeren Tisch sitzt und auf die kahle Wand schaut. Denn in meinem Elternhaus erledigte man alles im Flüsterton, und das einzige deutlich hörbare Geräusch, abgesehen von meinen Portamento-Übungen auf der Geige, waren die Absätze meiner Mutter, wenn sie zum Ausgehen hochhackige Schuhe anzog. Und wenn Hopper sagte, er male, weil er es nicht mit Worten ausdrücken könne, so beschreibe ich es mit Worten, weil ich es, so klar ich es auch vor mir sehe, nicht malen kann. Und immer sehe ich es wie er, durch ein Fenster oder einenTürspalt. Und was ich nicht wusste, habe ich mit der Zeit erfahren. Und was ich nicht weiß, das erfinde ich, und es ist ebenso wahr. Ich weiß, du wirst mich verstehen und es mir nachsehen.
Zwei Tage später hatte Senyor Berenguer seine Sachen in das kleine Büro neben den japanischen Dolchen zurückgeschafft, während Cecília ihre Genugtuung nur mühsam verbarg, indem sie vorgab, Wichtigeres zu tun zu haben, als sich mit solchem Kleinkram abzugeben. Mit Frankfurt telefonierte nun meine Mutter, und vermutlich war es diese neue Anordnung der Figuren nach ihrer Attacke mit beiden Türmen und der Dame, die Senyor Berenguer zu einem verheerenden Gegenangriff veranlasste, bei dem er mächtiges Geschütz auffuhr. Die beiden Schwergewichte des Antiquitätengeschäfts im Carrer de la Palla hatten einander den Krieg erklärt, und alles war erlaubt.
Mutter hatte immer duldsam, unterwürfig und zurückhaltend gewirkt und gegen niemanden außer mir je die Stimme erhoben. Doch nach Vaters Tod mauserte sie sich und entwickelte sich zu einer großartigen Organisatorin von einer unerbittlichen Härte, die man ihr nie zugetraut hätte. Der Laden kam bald wieder in Schwung, jetzt eher mit einer Tendenz zu Edelramsch, der einen rascheren Umsatz ermöglichte, und Senyor Berenguer musste die Demütigung einer unerbetenen Gehaltserhöhung erdulden, die zudem von einem bedrohlichen Sie und ich werden uns sehr bald einmal ausführlich unterhalten müssen begleitet war. Mutter krempelte wieder die Ärmel hoch, und dabei fiel ihr Blick auf mich, sie holte Luft, und ich begriff in aller Klarheit, dass mir eine schwierige Lebensphase bevorstand.
Zu dieser Zeit ahnte ich noch nichts von den geheimen Schachzügen meiner Mutter. Es dauerte lange, bis ich davon erfuhr, denn bei uns wurden die Dinge nur ausgesprochen, wenn keine andere Wahl blieb, und dann überließ man die Enthüllung einem geschriebenen Zettel, um den direkten Blickkontakt mit dem anderen zu vermeiden. So erfuhr icherst sehr viel später, wie meine Mutter sich damals aufführte. Jeden Mittwoch,
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