Das Schweigen des Sammlers
Schwarzer Adler mit einem verächtlichen Blick. Ich weiß, dass er Leute, die lügen, nicht ausstehen kann.
Die Beerdigung war düster, mit vielen ernst blickenden Herren, die ihre Hüte in der Hand hielten, und Damen mit feinen Schleiern vor dem Gesicht. Meine Vettern und meine Cousine aus Tona waren gekommen und einige Vettern zweiten Grades von den Boschs aus Amposta, und zum ersten Mal in meinem Leben stand ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, schwarz gekleidet, mit straffem Scheitel und glatt gekämmt, denn Lola Xica hatte die doppelte Portion Haarfestiger genommen und gesagt, ich sähe sehr hübsch aus. Und dann hatte sie mich auf die Stirn geküsst, was meine Mutter niemals getan hatte und jetzt schon gar nicht tat, denn sie sah mich nicht einmal mehr an. Man sagte mir, in der dunklen Kiste liege mein Vater, aber ich konnte es nicht nachprüfen.Lola Xica erklärte mir, er sei sehr schwer verletzt worden, und es sei besser, ihn nicht anzuschauen. Armer Vater, den lieben langen Tag in Bücher und seltene Objekte vertieft, um dann schwer verletzt zu sterben. Idiotisch, das Leben. Und wenn er von einem Kaiken-Dolch aus dem Laden verletzt worden war? Nein, sie hatten gesagt, es sei ein Verkehrsunfall gewesen.
Mehrere Tage lang lebten wir hinter zugezogenen Vorhängen, und um mich herum wurde nur gewispert. Lola Xica umsorgte mich noch mehr als sonst, und Mutter saß stundenlang in dem Sessel, in den sie sich immer zum Kaffeetrinken setzte, gegenüber dem leeren Sessel, in dem Vater beim Kaffeetrinken gesessen hatte, bevor er starb. Für mich war es schwierig, denn ich wusste nicht, ob ich mich in den anderen Sessel setzen durfte, weil meine Mutter mich gar nicht wahrnahm, und sooft ich sagte, hallo Mutter, fasste sie nach meinem Handgelenk, starrte aber die Tapete an und gab mir keine Antwort, und dann dachte ich, ist auch egal, und setzte mich nicht in Vaters Sessel und dachte, so ist das halt, wenn man traurig ist. Aber ich war auch traurig und sah trotzdem, was um mich herum vorging. Es war eine furchtbare Zeit, weil ich wusste, dass Mutter mich nicht wahrnahm. Später habe ich mich daran gewöhnt. Mir scheint, dass mich meine Mutter seitdem nie wieder wahrgenommen hat. Sie ahnte wohl, dass ich an allem schuld war, und wollte deshalb nichts mehr von mir wissen. Hin und wieder schaute sie mich zwar an, aber nur, um mir Anweisungen zu erteilen. Sie hatte mich ganz Lola Xica überantwortet. Vorläufig.
Ohne zuvor mit mir darüber gesprochen zu haben, kam Mutter eines Tages mit einer neuen Übungsgeige nach Hause, einer recht anständigen mit guten Proportionen und gutem Klang. Sie überreichte sie mir fast ohne ein Wort und ohne mir in die Augen zu sehen. Als wäre sie mit ihren Gedanken woanders und handelte rein mechanisch. Als dächte sie an früher oder später, aber nicht an das, was sie gerade tat. Ich brauchte lange, bis ich sie verstand. Und ich nahm meinen Geigenunterricht wieder auf, den ich für längere Zeit hatte unterbrechen müssen.
Einmal, als ich in meinem Zimmer übte, stimmte ich die E-Saite so rabiat, dass sie zersprang. Danach rissen mir noch zwei weitere, und ich ging ins Wohnzimmer und sagte, Mutter, du musst mit mir zum Musikgeschäft Beethoven gehen, ich habe keine E-Saiten mehr. Sie sah mich an. Besser gesagt, sie drehte den Kopf ungefähr in meine Richtung und sagte nichts. Daraufhin wiederholte ich, ich müsse neue Saiten kaufen, und da erschien hinter einem Vorhang Lola Xica und sagte, ich gehe mit dir, aber du musst mir sagen, welche Saiten du brauchst, für mich sehen die alle gleich aus.
Wir nahmen die U-Bahn. Lola Xica erzählte mir, sie sei in der Barceloneta geboren, und wenn sie früher mit ihren Freundinnen spazieren gegangen sei, hätten sie oft gesagt, lasst uns nach Barcelona gehen, und zehn Minuten später hätten sie das untere Ende der Rambla erreicht und seien dann die Rambla rauf und runter spaziert, hätten wie blöd gekichert, aber hinter vorgehaltener Hand, damit die Jungen sie nicht lachen sahen, und das war, wie Lola Xica mir versicherte, sogar lustiger als Kino. Und sie sagte, sie hätte nie gedacht, dass in diesem finsteren kleinen Laden Geigensaiten verkauft würden. Ich verlangte eine C-Saite, zwei E-Saiten und eine F-Saite von Pirastro, und sie sagte, das sei ja wirklich leicht gewesen, das hätte ich ihr auch auf einen Zettel schreiben und sie allein losschicken können. Darauf sagte ich, nein, Mutter würde mich sicherheitshalber auch immer mitnehmen.
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