Das Schweigen des Sammlers
ihrem Haar zu schnuppern, doch offenbar gingen die, die fertig waren, auf der anderen Seite ab, und ich hörte, wie das junge Talent Adrià Ardèvol i Bosch, begleitet von Senyora Antònia Marí, angekündigt wurde. Das hieß, wir mussten hinaus auf die Bühne, und ich sah, dass Bernat, der geschworen hatte, keine Sorge, im Ernst, Adrià, Ehrenwort, ich werde nicht kommen, versprochen, in der ersten Reihe saß, der Drecksack, und ich hatte den Eindruck, er unterdrücke ein spöttisches Grinsen. Und auch noch mit seinen Eltern, der Kerl. Und meine Mutter in Begleitung zweier Herren, die ich noch nie gesehenhatte. Und Maestro Manlleu, der sich zu dem Grüppchen gesellte und meiner Mutter etwas ins Ohr raunte. Mehr als die Hälfte des Saals voll fremder Menschen. Und ich musste plötzlich dringend pinkeln. Ich flüsterte Senyora Marí zu, ich ginge noch mal rasch aufs Klo, und sie sagte, lass dir Zeit, die Leute werden nicht weggehen, ohne dich gehört zu haben.
Adrià Ardèvol ging nicht zur Toilette. Er lief in die Garderobe, verstaute die Geige im Kasten und ließ sie dort zurück. Als er zum Ausgang rannte, stand mit einem Mal Bernat vor ihm, sah ihn erschrocken an und fragte, wo willst du hin, du Blödmann. Und Adrià sagte, nach Hause. Und Bernat, du hast sie ja nicht mehr alle. Und Adrià sagte, du musst mir helfen. Sag, man hätte mich ins Krankenhaus bringen müssen oder so was, und er verließ das Casal del Metge und fand sich umgeben vom nächtlichen Verkehr auf der Via Laietana und spürte, dass er in Strömen schwitzte, und dann machte er sich auf den Weg nach Hause. Eine gute Stunde später erfuhr ich, dass Bernat sich wie ein Freund verhalten hatte, denn er war in den Saal zurückgegangen und hatte meiner Mutter gesagt, ich fühlte mich nicht wohl und man habe mich ins Krankenhaus gebracht.
»In welches Krankenhaus denn, Kind Gottes??«
»Keine Ahnung. Der Taxifahrer wusste eins.«
Maestro Manlleu stand mitten auf dem Gang, erteilte lauter widersprüchliche Anweisungen und drehte fast durch, weil sich die unbekannten Herren, die ihn begleiteten, kaum das Lachen verbeißen konnten, und diese Barriere, die ich Bernat zu verdanken hatte, trug entscheidend dazu bei, dass mich niemand die Via Laietana hinaufrennen sah.
Schon eine Stunde später waren sie zu Hause, weil mich Lola Xica verpfiffen hatte, denn als sie mich völlig aufgelöst heimkommen sah, hatte sie im Casal del Metge angerufen, die dumme Gans – warum müssen die Erwachsenen immer zusammenhalten? –, und Mutter rief mich und Maestro Manlleu ins Arbeitszimmer und schloss die Tür. Es war grauenhaft. Meine Mutter sagte, was ich mir eigentlich einbildete. Ich erwiderte, dass ich das nicht noch einmal durchmachenwolle. Meine Mutter wiederholte, was bildest du dir eigentlich ein; und Maestro Manlleu hob die Arme und rief, unfassbar, unfassbar. Und ich, nein, ich hätte es satt, ich wolle Zeit zum Lesen; und meine Mutter, nein, du lernst Geige, und wenn du groß bist, entscheidest du, was du willst; und ich, das habe ich schon entschieden. Und meine Mutter, mit dreizehn Jahren bist du noch unfähig zu entscheiden; und ich empört, dreizehneinhalb! Und Maestro Manlleu hob die Arme und rief, unfassbar, unfassbar; und meine Mutter sagte zum dritten Mal, was bildest du dir eigentlich ein, und setzte hinzu, deine Stunden kosten mich ein Heidengeld, und du führst dich auf wie …, und Maestro Manlleu fühlte sich angesprochen und merkte an, teuer seien sie nicht. Sie kosteten Geld, aber wenn man bedenke, wer er sei, seien sie nicht teuer; und meine Mutter, also, ich sage Ihnen, sie sind teuer; sehr teuer. Und Maestro Manlleu, na, wenn Sie sie zu teuer finden, dann machen Sie und Ihr Sohn doch allein weiter; ein Oistrach ist er ja nicht gerade. Und Mutter fuhr auf, kommt nicht in Frage. Sie haben gesagt, der Junge ist begabt, und Sie machen mir einen Geiger aus ihm. Während die Worte wie Bälle zwischen ihnen hin und her flogen, beruhigte ich mich und musste das Gespräch nicht einmal in mein Französisch übersetzen. Und Lola Xica, die Verräterin, streckte den Kopf herein und sagte, da sei ein dringender Anruf vom Casal del Metge, und meine Mutter sagte im Hinausgehen, keiner rührt sich vom Fleck, ich bin gleich wieder da, und Maestro Manlleu hielt sein Gesicht ganz dicht vor meines und sagte, verdammter Feigling, dabei beherrschst du die Sonate so gut, und ich gab zurück, das sei mir egal, ich wolle nicht in der Öffentlichkeit spielen. Und er:
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