Das Schweigen des Sammlers
Und was soll Beethoven von dir denken? Und ich: Beethoven ist tot und wird es nie erfahren. Und er: Ungläubiger. Und ich: Schwuchtel. Und dann entstand ein zähes, schmutziggelbes Schweigen.
»Was hast du gesagt?«
Wir standen einander reglos gegenüber. Dann kam meine Mutter zurück. Maestro Manlleu, noch ganz entgeistert, war außerstande zu reagieren. Mutter sagte, ich stünde unterHausarrest und dürfe das Haus nicht verlassen, außer für die Schule und den Geigenunterricht. Und jetzt gehst du sofort auf dein Zimmer, und ob du heute etwas zum Abendessen bekommst oder nicht, darüber unterhalten wir uns nachher. Verschwinde. Maestro Manlleu stand noch immer mit erhobenem Arm und offenem Mund da. Zu langsam für den Zorn, der in Mutter und mir loderte.
Aus Protest schloss ich meine Tür, sollte Mutter sich ruhig beschweren. Ich öffnete meine Schatzkiste, in der ich, abgesehen von Schwarzer Adler und Carson, die sich frei bewegen konnten, meine Geheimnisse aufbewahrte. Ich erinnere mich an ein zweiteiliges Sammelbild von einem Maserati, einige traumhafte Glasmurmeln und das Medaillon meines Engels, das dort lag, wenn ich es nicht trug, und das jetzt ein Andenken an meinen Engel und sein rotes Lächeln und sein Ciao, Adriano war. Und Adrià stellte sich vor, wie er antwortete Ciao, mio angelo.
Er hatte ihn in einen der schmuddeligen Räume im anderen Gebäude zitiert, wo die Kleinen Noten lernten. Als er in den düsteren Korridor einbog, wurde es still, als schluckte die dicke Staubschicht auf dem Boden das Geschrei seiner ballspielenden Mitschüler. Am Ende des Ganges, im letzten Zimmer, brannte Licht.
»Sieh mal an, unser Künstler.«
Pater Bartrina war ein kantiger Mann, groß und hager, in einer unvermeidlich zu kurzen Soutane, unter der ein Paar verschlissene Hosen hervorschauten. Da er sich zu jedem hinunterbeugen musste, sah es immer so aus, als wollte er sich auf seinen Gesprächspartner stürzen. Doch war er ein liebenswürdiger Mann, der sich längst damit abgefunden hatte, dass kein Schüler sich jemals für die Tonarten interessieren würde. Da er aber Musiklehrer war, lehrte er weiter das Notenlesen und basta. Sein Problem war, sich einen gewissen Anschein von Autorität zu bewahren, weil kein Schüler jemals wegen Musik sitzenblieb, egal ob er falsch sang oder keine Ahnung hatte, auf welche Linie man das F schrieb. Alsoergab er sich achselzuckend in sein Schicksal, machte weiter wie gehabt und erklärte vor der riesigen Wandtafel mit den vier Fünfergruppen roter Linien den Unterschied zwischen einer schwarzen Note (die mit Kreide gemalt absurderweise weiß war) und einer weißen Note (einem Kreis in Wandtafelschwarz). Und die Schüler kamen und gingen, wie auch die Jahre kamen und gingen.
»Hallo.«
»Wie ich höre, spielst du Geige.«
»Ja.«
»Und hast dich geweigert, im Casal del Metge aufzutreten.«
»Ja.«
»Warum?«
Adrià erläuterte seine Theorie über die Perfektion, die Interpreten abverlangt wurde.
»Lass die Perfektion mal beiseite. Du leidest an Lampenfieber.«
»Was?«
Und Pater Bartrina erläuterte seine Theorie über das Lampenfieber von Künstlern, die er aus einer englischen Musikzeitschrift hatte. Nein. Das war nicht dasselbe, dachte ich. Aber es war nicht leicht, es ihm zu verdeutlichen. Ich habe keine Angst, ich will nur bei diesem Streben nach Perfektion nicht mitmachen. Ich will keinen Beruf, der keine Fehler und keine Unsicherheiten erlaubt.
»Mit Fehlern und Unsicherheiten muss sich jeder Interpret auseinandersetzen. Aber er lässt sie nur bei den Proben zu. Wenn er vor Publikum spielt, hat er alle Unsicherheit überwunden. Und damit basta.«
»Das ist nicht wahr.«
»Wie bitte?«
»Entschuldigung. Das sehe ich nicht so. Ich liebe die Musik viel zu sehr, um sie von einem falsch gesetzten Finger abhängig zu machen.«
»Wie alt bist du?«
»Dreizehneinhalb.«
»Du redest nicht wie ein Kind.«
War das ein Vorwurf? Forschend sah ich ihm in die Augen, ohne Klarheit zu gewinnen.
»Warum gehst du eigentlich nie zur Kommunion?«
»Ich bin nicht getauft.«
»Mein Gott.«
»Ich bin nicht katholisch.«
»Was bist du dann?«, fragte er vorsichtig, während Adrià nachdachte. »Protestant? Jude?«
»Gar nichts. Zu Hause sind wir gar nichts.«
»Darüber müssen wir uns mal in Ruhe unterhalten.«
»Die Schule hat meinen Eltern versprochen, dass man mich deswegen nicht zur Rede stellt.«
»Mein Gott.« Zu sich selbst: »Dem muss ich nachgehen.« Dann
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