Das Schweigen des Sammlers
Gewerbsunzucht.«
Schweigen. Wir waren alle drei eher verwirrt.
»Und Puff?«
»Puff: ugs. für Bordell, Freudenhaus. Pah, immer dasselbe.«
»Mist.«
»He, warte: Haus, in dem es unsittlich, laut und zügellos zugeht.«
Demnach hatte mein Vater also öffentliche Häuser, wo Krach gemacht wurde. Und deswegen mussten sie ihn umbringen?
»Sollen wir entpulvern suchen?«
»Howgh.«
»Ja.«
»Es geht nicht um Krach, sondern um Sex.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Wenn ein Krieger das Mannesalter erreicht, weiht ihn der Schamane in die Geheimnisse der Sexualität ein.«
»Wenn ich das Mannesalter erreiche, wird mich niemand in die Geheimnisse der Sexualität einweihen.«
Ich schwieg ein wenig verbittert. Plötzlich hörte ich ein trockenes Ausspucken.
»Was ist, Carson?«
»Wenn ich reden würde.«
»Dann rede doch, verflixt.«
»Nein. Ihr seid noch zu jung für gewisse Dinge.«
Sheriff Carson hatte recht. Ich war niemals im richtigen Alter für irgendetwas. Entweder war ich zu jung, oder ich bin zu alt.
15
»Tauch die Hände in warmes Wasser. Nimm sie raus, raus damit, lass sie nicht zu lange drin. Nicht nervös werden. Ganz ruhig. Geh ein paar Schritte. Atme tief durch. Bleib stehen. Genau so. Sehr gut. Denk an den Anfang. Tu, als würdest du auf die Bühne treten und das Publikum begrüßen. Sehr schön. Jetzt grüß. Nein, also hör mal, so doch nicht. Du musst dich verneigen, als wärest du deinem Publikum zutiefst ergeben. Natürlich bist du das nicht. Die Leute sollen nur glauben, du seist ihr Diener. Aber wenn du erst einmal ganz oben bist, so wie ich, dann weißt du, dass du ihnen überlegen bist und dass sie eigentlich vor dir niederknien müssten. Ich hab gesagt, du sollst nicht nervös werden. Trockne dir die Hände ab, willst du dich erkälten? Nimm die Geige. Streichle sie, beherrsche sie, denk dran, dass du ihr befiehlst, das zu tun, was du willst. Vergegenwärtige dir die ersten Takte. So, ohne Bogen, tu so, als würdest du spielen. Gut. Jetzt kannst du weiter Tonleitern üben.«
Maestro Manlleu war das reinste Nervenbündel, und als er die Garderobe verlassen hatte, konnte ich endlich aufatmen. Ich fühlte mich wohler, wenn ich Tonleitern übte, ohne Schrammen, ohne Quietschen, mit sauber geführtem, gut eingewachstem Bogen, und atmete. Und da sagte sich Adrià Ardèvol, nie wieder, das hier war eine Qual für ihn, er war nicht dazu geschaffen, auf der Bühne zu stehen wie in einem Schaufenster, seine Ware feilzubieten und zu hoffen, dass jemand ein wenig Beifall dafür zahlte. Aus dem Saal drang ein sehr schön interpretiertes Prélude von Chopin zu ihm, und er stellte sich ein bildhübsches Mädchen vor, das zärtlich über die Klaviertasten strich, und da hielt er es nicht mehr aus, legte die Geige in den offenen Kasten, ging hinaus, und durch den Vorhangspalt sah er sie. Es war ein Mädchen, sie war mehr als bildhübsch, und er verliebte sich auf der Stelle in sie; indiesem Moment wäre er am liebsten ihr Flügel gewesen. Als das unbeschreibliche Mädchen fertig war und sich so süß, aber so was von süß, verbeugte, klatschte Adrià frenetisch, und eine drängende Hand legte sich ihm auf die Schulter.
»Was zum Kuckuck machst du hier? Du bist doch jetzt dran!«
Auf dem Weg zur Garderobe verfluchte Maestro Manlleu meine mangelnde Professionalität eines Kindes von zwölf oder dreizehn Jahren, das zum ersten Mal vor Publikum spielt und keine große Lust dazu hat, und was haben wir uns krummgelegt, deine Mutter und ich, und du stehst hier herum und glotzt. Damit machte er mich natürlich entsprechend nervös. Er forderte mich auf, die Musiklehrerin Senyora Marí zu begrüßen, die schon am Bühneneingang wartete (siehst du? Das ist Professionalität!), und Senyora Marí zwinkerte mir zu und sagte, ganz ruhig, du machst das sehr gut und wirst es gleich noch besser machen. Und ich solle die Introduktion nicht überstürzen, ich gäbe das Tempo vor, und sie werde mir folgen; spiel nicht zu schnell. Wie bei der letzten Probe. Und dann spürte Adrià, wie ihm Maestro Manlleu in den Nacken hauchte: »Atme. Sieh nicht ins Publikum. Mach eine elegante Verbeugung. Füße ein bisschen auseinander. Schau zur Rückwand des Saals, und fang an, selbst wenn Senyora Marí noch nicht ganz bereit ist. Du gibst das Tempo vor.«
Ich hätte gern gewusst, wer meine Vorgängerin auf der Bühne gewesen war, um sie zu begrüßen oder ihr einen Kuss zu geben oder die Arme um sie zu legen oder an
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