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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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mir den Rücken zu und schloss sich in der Küche mit ihrem Hackbrett und ihrem reichen Schatz an Gemüse ein.
    Schade, dass ich dir geboren wurde!, schrie ich ihr in Gedanken hinterher, legte die Arme um den Körper, floh in mein Zimmer und konnte mich nicht beruhigen.
     
    Und einen Sohn? Hattest du einen Sohn, Mama?
    Mama, hatte ich einen Bruder?
     
    »An alle, die es angeht«, hatte ich an jenem Abend in mein Heft geschrieben. »Ich habe einen Bruder, der Schmiel heißt, er wurde zum letzten Mal vor vielen Jahren in den Wäldern Polens gesehen. Er war damals ein kleiner Junge, trug einen zerrissenen Mantel und abgetretene Schuhe. Er hat braune, traurige Augen und schwarze Locken, er spricht Jiddisch und Polnisch, heute muss er schon erwachsen sein. Jeder, der weiß, wo er sich aufhält, oder der ihn trifft, wird gebeten, ihm zu sagen, dass er in Israel, in Tel Aviv, eine Mutter hat. Und er hat auch mich. Vielen Dank im Voraus und Grüße, seine Schwester.«
     
    »Sag mal«, hörte ich Bracha dicht neben meinem Ohr sagen, »hast du eine Ahnung, warum sie ihr Alter gefälscht hat? Weißt du etwas? Glaubst du, dass dein Vater es gewusst hat? Vielleicht hat sie ihn ja angelogen. Kapierst du, dass sie neun Jahre älter war als er?«
    Ihr Gesicht war meinem sehr nahe, mir fiel auf, dass sie keine Falten hatte, die Zeit konnte ihr offenbar nichts anhaben. Und ihr Blick war noch immer so erstaunt und begeistert wie früher, als wir Kinder waren.
    Bracha spinnt, hatten immer alle gesagt.
    Plötzlich rührte sie mich. Auch heute ist sie noch so einsam wie damals, dachte ich. Ich lächelte sie an.
    Bracha hielt mir wieder die Geburtsurkunden meiner Eltern hin und erging sich in Erklärungen. Mein Mitleid verschwand.
    »Genug, Bracha«, wurde sie von Dorit unterbrochen, die mich schützen wollte. »Du bringst sie um. Du fällst wie schwere Artillerie über sie her.« Sie wandte sich an mich. »Komm, wir gehen.« Sie versuchte mich aus dem Minenfeld zu retten.
     
    Meine Mutter war 1920 geboren, sie war neunzehn, als der Krieg ausbrach. Mit zweiunddreißig Jahren heiratete sie meinen Vater. Ich räumte alles Hinderliche aus dem Weg, holte mir die Mutter zurück, die ich mein Leben lang gehabt hatte, die junge Frau und den jungen Mann, die die Shoah überlebt hatten, allein in der Welt zurückgeblieben waren, in Israel einwanderten, sich im Kibbuz begegneten und ineinander verliebten. Ich kehrte zu der Geschichte zurück, aus der ich mir meine Familiensaga gebaut hatte.
     
    »Brachale, das Essen steht auf dem Tisch!«, hörten wir plötzlich, wie früher, Golda Poschibuzki rufen.
    »Wollt ihr mit uns essen?«, fragte Bracha.
    Ich schwankte zwischen Ja und Nein. Ich wusste einfach nicht, was ich lieber wollte   – zu wissen oder nicht zu wissen.
    »Wirklich nicht«, antwortete Dorit auch in meinem Namen und zog mich am Arm.
    Bracha gelang es, die Geburtsurkunden meiner Eltern in meine Tasche zu stopfen. »Du wirst ebenfalls bald von mir hören«, versprach sie Dorit, dann hüpfte sie die Stufen zu ihrem Haus hinauf, zu der Mahlzeit, die ihre Mutter gekocht hatte.
     
    »Ich hätte für mein Leben gern einen Kaffee«, sagte Dorit und deutete auf das Café in der Nähe des Friedhofs. »Es tut mir leid, dass ich dich ins Viertel geschleppt habe«, entschuldigte sie sich dann. »Fang jetzt bloß nicht an in der Vergangenheit herumzustochern. Schau dir doch Bracha an«, sagte sie warnend. »Deine Mutter wird nicht mehr lebendig, dein Vater wird nicht mehr lebendig, das bringt alles nichts. Was war, war.«
    Im Café bestellte Dorit zwei Milchkaffee und zwei Zimtrollen.
    »Ich möchte dir etwas erzählen, was ich noch nie jemandem erzählt habe.« Beim Sprechen trommelten ihre Finger auf den Tisch. »Als wir in der vierten Klasse waren, bin ich einmal mit meiner Mutter zum Carmel-Markt gefahren.« Sie schaute sich um, sie prüfte, ob auch niemand zuhörte, dann fuhr sie fort: »Am Eingang zum Markt rief jemand ihren Namen. Meine Mutter versuchte ganz offensichtlich, die Frau zu ignorieren, aber meine Neugier war geweckt. Ich verlangsamtemeine Schritte, drehte mich um und gab der Frau damit die Möglichkeit, uns einzuholen. ›Du weißt, wer ich bin‹, sagte sie zu meiner Mutter, sie stand ganz dicht vor ihr, ihre Nasen berührten sich fast. Sie schaute meine Mutter durchdringend an. ›Ich bin die Schwester von Rachel.‹ Meine Mutter erstarrte. Dann sagte die Frau: ›Ich hoffe, dass du noch hörst, wie meine Rachel um ihr

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