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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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Sanitätsbaracke.
    Auf dem Tablett, das er in den Händen trug, lagen zwei mit Erdbeermarmelade beschmierte Brotscheiben, neben einem Glas Orangensaft.
    Sie lächelte.
    »Warum bleibst du Tag und Nacht in dieser Baracke?«, fragte er.
    »Das ist die Sanitätsstation des Kibbuz«, sagte sie verwundert.
    »Aber warum auch nachts, und warum nur du?«, wollte er wissen.
    »So ist das nach dem Krieg«, antwortete sie kurz.
    Er hatte verstanden. Gespräche der Kibbuzniks über die Kuh, die ein Kalb geboren hatte, und über den keimenden Weizen machten sie stumm. Es gab keinen Ort, wohin man gehen konnte, niemanden, zu dem man zurückkehren konnte. Was gab es da noch zu sagen.
    Schmerz erfüllte ihn.
    »Ich heiße Jakob«, stellte er sich vor. Nach einiger Zeit stand er auf und ging.
    Spät in der Nacht kam er wieder. Er wurde von heftigem Husten geschüttelt. Er lehnte sich an den Türpfosten, alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Sie bot ihm die Behandlungsliege an.
    »Ich bin hier«, sagte sie, »die ganze Nacht.« Sie versprach, auf ihn aufzupassen, und bereitete ihm eine Tasse Tee.
    »A mechaje
8
«
, seufzte er, als er den Tee trank.
    Sein Jiddisch floss durch ihre Adern wie frisches Blut durchdie Adern eines Todkranken, trennte sie für einen Moment von dem Totentanz in ihrem Herzen.
    Er schlief ein. Sie saß schweigend neben ihm, lauschte auf jedes Husten, auf jeden Atemzug.
    Stille erfüllte den Raum. Helena verbrachte die Nacht in unermesslicher Ruhe.
    Als er morgens aufstand, ergriff er sanft ihre Hand, sein Blick dankte ihr.
    Seine Berührung und sein Blick brachten ihr ein verlorenes Glück zurück.
     
    Helena verriet keinem der Kibbuzmitglieder, dass Jakob an Tuberkulose litt. Aber sie wusste, dass seine Krankheit herauskommen würde, dass seine Hustenanfälle ihn verraten würden, sie wusste, dass seine Tage an diesem Ort gezählt waren.

    Die Massage war zu Ende. Ich verließ das Behandlungszimmer. Ich hatte vor, mich bei Dorit zu bedanken und mich von ihr zu verabschieden. Bis zum nächsten Popcorn.

6
    VOM MASSAGERAUM GING ICH durch den Garten Richtung Küche, vorbei an Feigenbäumen, Weinstöcken und Himbeerbüschen, die Rasensprenger surrten leise, in der Ferne ratterte der Rasenmäher.
    Oben am Tor hielt ein silberner Jeep. Ein gut gebauter, athletischer Mann sprang heraus, lief zur Beifahrertür und war einer Frau beim Aussteigen behilflich. Der Mann setzte sich wieder in den Jeep und fuhr weg.
    Ich musterte die attraktive Lady aus dem Jeep, ihren modischen Jogginganzug, ihre Sportschuhe, das goldglitzernde Stirnband, die Paillettentasche über ihrer Schulter, die Sonnenbrille   – alles an ihr war teuer.
    Eine Fata Morgana, dachte ich, trotzdem rief ich laut: »Chajale Fink!«
    Die Frau kam auf mich zu. »Ich glaube es nicht«, rief sie aufgeregt. »Lang sollst du leben! Erst vor ein paar Tagen haben wir von dir gesprochen.«
    »Vor ein paar Tagen habe ich auch an dich gedacht«, sagte ich. »Ich war in unserem Viertel, ich bin an eurem Haus vorbeigegangen, ich habe sogar deine Mutter getroffen.« Ich versuchte mit den vielen Überraschungen klarzukommen, die ich zu verkraften hatte. Mir war, als würde mich die Vergangenheit zugleich von innen und von außen angreifen.
    »Wirklich? Ich glaube es nicht, du hast sie wirklich getroffen?«Chajale fasste mich am Arm. »Meine Mutter hat gesagt, du hättest mit ihr im Café gesessen, aber ich habe gedacht, mit ihrer Demenz wird es immer schlimmer. Ein Traum, dich hier zu sehen, ein Traum!« Chajale umarmte mich innig.
    »Was machst du hier?«, fragte ich.
    »Adi und ich waren beim Emek-Lauf zur Erinnerung an Gadi Oldak, der im Jom-Kippur-Krieg gefallen ist, er war ein Freund von Adi und Alon.« Und als sie meinen erstaunten Blick sah, fragte sie: »Willst du sagen, Dorit hat dir nicht erzählt, dass ich hier bin? Na ja, mag sein, dass sie es dir nicht gesagt hat, aber wieso hat sie mir nicht gesagt, dass du hier bist?« Man sah ihr an, dass sie gekränkt war. Auch ich musste schlucken.
    Chajale versuchte sich zu beruhigen. »Das ist bestimmt nur ihre berufsbedingte Geheimnistuerei.« Sie wechselte elegant das Thema. »Gut, dass wir Bracha haben. Sie hat mir erzählt, dass ihr euch bei Fejges Beerdigung getroffen habt. Leider hatte ich an jenem Tag eine Operation.« Sie lachte. »Nur ein Operatiönchen, nichts Ernstes, eine winzige Reparatur.« Sie nahm die Sonnenbrille ab, schob sie wie ein Diadem in die Haare und zeigte mir ihre

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