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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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Augenlider.
    Wieder betrachtete ich ihre Erscheinung, den Schmuck, die faltenlose Haut und natürlich die Augenlider, die nur das Werk eines guten plastischen Chirurgen sein konnten.
    »Chajale, du bist schön«, sagte ich.
    »So schön wie damals?«, fragte sie und lachte.
    »Noch viel schöner«, sagte ich und meinte es auch.

    Vor mehr als fünfundzwanzig Jahren war ich bei ihrer Hochzeit gewesen, später hatte sie mich zur Beschneidungsfeier ihres ältesten Sohnes eingeladen, und natürlich hatten wir uns auch dann und wann bei Beerdigungen getroffen.
    »Chaja und Adi Niv wohnen in Savyon, sie haben drei Kinder   …« hatte ich kürzlich in der Zeitung gelesen, in einer begeisterten Reportage über ihren Mann, einen Hightech-Unternehmer. Diesem Bericht hatte ich auch entnommen, dass Adi, einst Kommandeur der Bodentruppen, jetzt in die Zukunft investierte und viel für das Erziehungswesen im Land tat. »Das schöne Gesicht des Staates Israel«, war das Fazit jener Reportage.

    »Komm, wir trinken dort einen Espresso«, schlug Chajale vor und deutete in eine schattige Ecke des Gartens. Ich nahm mit Freude an. Auf dem Weg dorthin stützte sich Chajale auf mich. Erst da bemerkte ich, dass sie ein Bein nachzog.
    »Was ist dir passiert?«, fragte ich.
    »Nichts Schlimmes«, antwortete sie. »Ich habe mir beim Lauf eine Sehne gezerrt.« Sie deutete auf ihren Fuß. »Diese Sache mit dem Sport ist nichts für uns Diaspora-Abkömmlinge.« Sie lachte.
    Ich ging etwas langsamer, passte meine Geschwindigkeit der ihren an.
    »Du weißt doch bestimmt, dass Dorit und ich in intensivem Kontakt sind«, sagte Chajale. »Eine Freundschaft wie die unsere rostet nie. Wir haben ein Alter erreicht, in dem Freunde, die unsere Eltern gekannt haben, zu Familienmitgliedern werden.Keine Freundschaft auf der ganzen Welt kann mit einer Freundschaft aus Kindertagen konkurrieren.«
    Sie deutete auf einen Steintisch im Schatten. »Schau, hier sitze ich gern.« In dem Moment, als wir uns setzten, ging der Rasensprenger an und Wasser spritzte auf uns.
    »Schätzchen!«, rief Chajale. »Ich bin lädiert, ich kann nicht so schnell weglaufen.«
    Der Rasensprenger ging sofort wieder aus. Ich schaute mich um, konnte aber niemanden entdecken.
    »Redest du mit Geistern oder was?«, fragte ich.
    »Nur mit einem.« Sie seufzte.
    Das Rattern des Rasenmähers wurde lauter. Ich riss erstaunt die Augen auf.
    Chajale merkte, dass ich nicht eingeweiht war. »Das hat sie dir also auch nicht erzählt? Wie deine Mutter, sie ist genau wie deine Mutter. Sie ist ebenfalls Krankenschwester und ebenfalls verschwiegen, und sie hat ebenfalls einen Kranken geheiratet.«
    »Einen Kranken?«, fragte ich und dachte an Alons Blick, der mir schon beim ersten Wiedersehen aufgefallen war.
    »Du hast es wirklich nicht gewusst?« Chajale konnte es kaum glauben. »Sie waren drei Freunde   – Gadi, Alon und Adi. Alle drei dienten in derselben Einheit. Gadi Oldak kam ums Leben, Adi wurde verwundet, nur Dorits Alon kehrte heil zurück. Aber nach neun Jahren, im ersten Libanonkrieg, sind ihm die Sicherungen durchgebrannt. Und erst da wurde uns klar, dass er mit einem Trauma aus dem Jom-Kippur-Krieg zurückgekommen war. Und wir wissen ja, was es bedeutet, mit einem Trauma aus einem Krieg zurückzukommen.« Sie richtete den Blick fest auf mich.

    »Was hast du in der Armee gemacht?« Das war die Frage, die meine Mutter jedem Freund gestellt hatte, den ich mit nach Hause brachte.
    Gil war Offizier bei den Fallschirmjägern, er erntete nur einen spröden Blick. Sie hörte »Fallschirmjäger« und verließ das Zimmer.
    Ami von der Infanterie, der in Uniform ankam, erntete nur einen mitleidigen Blick.
»Nebbech«
, murmelte sie, drehte sich auf dem Absatz um und ging hinaus.
    Udi von der Marine berichtete ihr begeistert und stolz von Kämpfen und Siegen und ihr Blick verfinsterte sich.
    »Idiot«, sagte sie, nachdem er gegangen war.
    »Ich war Müllfahrer«, sagte mein neuer Freund.
    Die Augen meiner Mutter leuchteten auf.
    »Mit dem«, sagte sie, »gehst du zum Rabbinat.«
    Am liebsten wäre ich auf der Stelle tot umgefallen.
    Und zu ihm sagte sie: »Du kannst der Vater meiner Enkel werden.« Mit einem kaltblütigen, vergnügten Blick überzeugte sie sich, dass mich ihr Schlag tödlich getroffen hatte.
    »Weil er beim Militär einen Müllwagen gefahren hat?«, fragte ich, dem Ende nahe.
    »Nein«, antwortete sie, »weil er ein reines Herz und einen gesunden Verstand hat.«
    »Du bist

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