Das Schwein kommt zum Essen: Roman (German Edition)
bislang gewohnt, nicht mehr aufgeführt werden, würde die Zahl der Wochen, der Monate, der Jahre nicht mehr erscheinen, während der sie Spitzenpositionen hielt. Kritiker würden achtlos über sie hinweggehen, hatten sie doch nichts mehr, was sie verunglimpfen könnten. Keine Fortsetzungsserien mehr im Fernsehen oder Radio, kein herablassendes Belächeln von Literaturwissenschaftlern. Ihr Ruhm, ihr Vermögen wären dahin. Sie würde vergessen sein, verarmt, ausgeraubt. Maude McCloskeys Stimme musste zum Schweigen gebracht, ihre seherischen Kräfte mussten zunichte gemacht werden.
Um das zu erreichen, bediente sich Kitty der einfachsten Waffe, die ihr zu Gebot stand: nicht ableugnen, sondern zustimmen, allerdings in Spott gehüllt. »O ja, Kitty McCloud, die große Verfechterin der Wahrheit! Die Maude Gonne der literarischen Welt. Schreibt mit dem flammenden Schwert, das ihr von St. Michael höchstselbst gereicht wurde. Hat einen unstillbaren Durst nach der Wahrheit, ist der Hort eines Zornes, wie ihn die Welt seit den Tagen der Königin Mab nicht mehr gesehen hat. Sieh sie dir genau an, Maude McCloskey! Wann wirst du dergleichen wieder erblicken?«
»Verspotte mich nur, so viel du willst. Ich bin daran gewöhnt. Aber ändern tut das überhaupt nichts.«
»Oh? Bevor du diesen letzten Unsinn von dir gegeben hast, war ich fast bereit zu glauben, dass das Schießpulver irgendwo lauert und ich jeden Augenblick gen Himmel fliegen könnte. Aber nun hat meine Seele Ruh für immer und ewig. Denn was du da redest, meine Liebe, ist der reinste Schwachsinn. Und trotzdem danke ich dir dafür, ist es mir doch eine Bestätigung, dass du nicht weißt, wovon du redest. Ohne deine liebenswürdigen Idiotien wäre ich in den Ehestand getreten, ohne die Chance gehabt zu haben, alle Gerüchte über einen Fluch, der sich noch erfüllen soll, aus meinen Gedanken zu verbannen. Das ist dein Geschenk für mich, und dafür bin ich dir von Herzen dankbar.«
»Du lügst, Kitty McCloud.«
»Oh? Bin ich nicht vor ein paar Minuten noch die edle Verkünderin der Wahrheit gewesen?«
»Das bist du auch. Außer, wenn du lügst.«
»Eine seltsame Logik. Wirklich!«
»Du bist eine Prophetin. Deine Bücher beweisen das.«
»Ich bin eine dreiste Geldschinderin, die Romanschreiber, die seit langem tot sind, gegen bare Münze verhökert. Das weißt du genauso gut wie jeder andere, ich selbst nehme mich da nicht aus.«
»Schau mir ins linke Auge, und sag das noch mal.«
Kitty konnte der Aufforderung nicht nachkommen, denn ihr wurde bewusst, dass sie schon seit einer Weile einen jungen Mann am anderen Ende der Halle im Blick hatte. Richtig hübsch war der, wirkte aber traurig und bekümmert. Es war, als suche er jemanden, den er nie finden würde, und betrauerte bereits seinen Verlust. Je länger Kitty ihn beobachtete, um so mehr ärgerte sie sich, ärgerte sich über ihn fast ebenso wie über Maude. Seine Haut war bräunlich, aber heller als seine Kleidung, doch es war nicht so sehreine von der Sonne verursachte Bräune, vielmehr eine Tönung, die keine Sonne gesehen hatte. Offensichtlich war er einer der Hausbesetzer, der gekommen war, sich über ihr Hochzeitsfest lustig zu machen. Gekleidet war er wie ein Bauer – ging sogar barfuß –, demnach war er ein Bediensteter von so niederem Rang, dass in seiner Kleidung gemäß altem Brauch nur eine einzige Farbe vorkommen durfte. Würde sie, Kitty, jetzt hier die Gutsherrin darstellen, hätte er als Gegenentwurf zu ihren hochfliegenden Allüren gelten können, der sich als Knecht gab, dem die Selbstherrlichkeit der Lords Shaftoe nur zu vertraut war.
Je länger Kitty ihn beobachtete und dabei verfolgte, wie sein Blick langsam von einem Ende der Halle zum anderen wanderte und stets bekümmert blieb, wich ihre Verärgerung einem zunächst sachten Interesse, dann einem zunehmenden Gefesseltsein.
Maude, die bemerkt hatte, wie sich Kittys Aufmerksamkeit verschob, folgte ihren Blicken. Von Kittys Gesicht war das Lächeln geschwunden, das sie während des Gesprächs mit der Seherin aufgesetzt hatte, und ohne auch nur in Maudes Richtung zu nicken, fragte sie: »Der junge Mann, der ganz in Braun geht, wer ist das?«
»Wo?«
»Dort, gegenüber an der Wand und ein bisschen nach rechts. Hat sich wie ein Bauer angezogen.«
»Ich sehe keinen.«
»Alles, was er anhat, ist braun. Die Jacke, das Hemd, die viel zu kurzen Hosen. Geht sogar barfuß.«
»Ich finde ihn nicht.«
»Macht nichts. Ist bloß sonderbar.
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