Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)
nutzten. Zu Aarons Rechten ragte himmelhoch die Sandsteinklippe auf – mehr rostfarben als sandsteinrot –, oben schauten Grasbüschel über den Rand und wankten in schwindelnder Höhe im Wind, beunruhigt, so über dem Abgrund und den Gesteinstrümmern zu schweben.
Ein gewaltiger Felsbrocken von den Ausmaßen eines Stadtbusses versperrte Aaron den Weg. Offensichtlich hatte er sich an der Klippe nicht länger halten können und war in einem Stück hinuntergerutscht in ein weniger gefährdetes Dasein am Gestade des Meeres. Aaron musste daran denken, was seine Tante vor ein paar Jahren in einem Brief mitgeteilt hatte. Ihr wäre bewusst, dass früher oder später das Familiengrundstück, oder ein Teil davon, aller Wahrscheinlichkeit nach ins Meer stürzen würde. In späteren Briefen war nicht mehr die Rede davon, abgesehen von einer Nebenbemerkung in Klammern, dass sie mit demGedanken spiele, die Immobilie zu verkaufen, solange noch genug davon vorhanden sei, um einen anständigen Preis dafür zu erzielen. Sie erwog, sie einem ahnungslosen Engländer anzudrehen, einem »Untertan der Krone«, wie sie zu sagen pflegte. Mit unverhüllter Schadenfreude hatte sie vor zwei Jahren einen Anwalt erwähnt, der für British Petroleum tätig war. Doch seither hatte er nichts mehr von der Sache gehört.
Da lag nun also der Fels und machte deutlich, dass das Vordringen der See eine Realität war; zwar würde es langsam geschehen und zur Zeit noch keine Bedrohung darstellen, doch seiner Tante immerhin eine stete Mahnung sein, sich um den einen oder anderen von Ihrer Majestät Untertanen erneut mit verlockenden Angeboten zu bemühen, bevor ihr Landbesitz auf so rohe und gewalttätige Weise weiter dezimiert wurde.
Gegenwärtig jedoch wurde nicht seine Tante, sondern er selbst zu einer Entscheidung gedrängt. Er konnte sich entweder zwischen dem Felsblock und dem Kliff durchzwängen oder die Schuhe ausziehen, die noch vom Morgentau im Gras nass waren, durch die sanfte Brandung waten und so das Hindernis umrunden. Natürlich hätte er auch hochklettern können und auf der anderen Seite wieder herunter, doch lag ihm daran, sich vom Gleichmaß seiner Schritte nicht durch einen unerwarteten Ausflug abbringen zu lassen. Auch hätte er einfach umkehren können. Er beschloss, die Stiefel anzubehalten und die Route durchs Wasser zu nehmen. Dabei wollte er sich nicht einmal die Mühe machen, die Hosenbeine aufzukrempeln. Was nass wurde, würde auch wieder trocknen. Die Unannehmlichkeit, die daraus entstand, wollte er lediglich als eine Veränderung der Gegebenheiten zur Kenntnis nehmen. Sobald er an dem Geröllblock vorbei war, gedachte er, sich wieder in seine Meditation über Phila Rambeaux zu versenken, die sich ihm versagt hatte.
Das Wasser strudelte um seine Knöchel, dann um die Schienbeine, schließlich die Knie. Der Sog beim Zurückweichen der Wellen war stärker, als er erwartet hatte. Aaron musste sich mit der Hand am Felsen stützen, um nicht den Halt zu verlieren. Ehe er noch ganz um den Findling herum war, stieg ihm das Wasser bis zum Schritt, es war kalt und kam ihm – aus welchem Grund auch immer – nässer vor, als er sich vorgestellt hatte. Er überlegte, sollte er zurückgehen, vielleicht wäre es das Beste.
Doch dann hatte er es geschafft, war auf der anderen Seite des Hindernisses und somit wieder sicher auf dem Uferstreifen. Er würde weitergehen. Das Wasser reichte jetzt bis an die Klippe, plätscherte gegen die Steilwand. Die Flut hatte eingesetzt. Danach kam unweigerlich die Ebbe. Der Strand würde wieder zum Vorschein kommen. Er war finster entschlossen, seine Wanderung nicht zu unterbrechen.
Als Zugeständnis an den Gezeitenwechsel zog er jedoch die Stiefel und die Socken aus, stopfte die Socken in die Stiefel, band die Schnürsenkel mit einem Kreuzknoten zusammen und hängte sich die Schuhe über die Schulter. Die Hosenbeine rollte er bis zum Knie auf. Derart präpariert, zog er weiter. Den wechselnden Druck der Strandkiesel gegen seine bloßen Fußsohlen empfand er als angenehm, die Flut respektierte die Wasserlinie, die er mit dem hochgerollten Wulst der Hosenbeine gezogen hatte.
Endlich konnte er an Phila denken. Doch andere Gedanken kamen ihm in die Quere. Seine Tante hatte nicht die Polizei gerufen. Während das Schwein sich weiter auf der Weidefläche umtat, hatten sie, das heißt er gemeinsam mit seiner Tante, den Rest des Skeletts freigelegt. Für die ersten wenigen Spatenstiche hatte Aaron einen
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