Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)
blieb ihr Blick auf das Phänomen geheftet, und fast tonlos, mit einer Stimme, die irgendwie entrückt war, kommentierte sie: »Mit Gift hast du es also getan. So macht es ein Feigling, wenn du mich fragst. Eine heimtückische Art. Das hätte ich nicht von dir gedacht, wo du doch meine beste und engste Freundin bist. Du hast dich zu einem Verbrechen bekannt, wie man sich nur dazu bekennen kann. Einen Schlag auf den Kopf hätte ich ja noch verstehen können, einen wirklich kräftigen Hieb und nicht aus demHinterhalt, so dass er ihn hätte kommen sehen und noch ein Stoßgebet hätte loslassen können. Du enttäuschst mich, Lolly, nach all den Jahren.«
Wenn man von Aaron jetzt verlangt hätte, ein Urteil darüber zu fällen, wer das Verbrechen begangen hatte, wäre er total verloren gewesen. Jede hatte ihren Standpunkt dargelegt – auch wie es sich mit Sweeney verhielt –, und jede hatte die Mittel genannt, mit deren Hilfe die Tat begangen worden war: ein Schlag auf den Kopf (seine Tante) beziehungsweise Gift (Lolly McKeever). Kieran Sweeney blieb ein Kandidat für beide Methoden. Die Gerichtsmedizin würde es feststellen. Mit diesem Gedanken war er zu einem salomonischen Urteil gekommen, wie er fand. Er würde darauf bestehen, dass die Leiche oder was davon übrig war, in den Gewahrsam der
gardaí
käme. Diejenige von den beiden Frauen, die sich dagegen wehrte, wäre die Schuldige. Gegenwehr bedeutete Eingeständnis, den Mord begangen zu haben.
»Die Polizei, die
gardaí
«, sagte Aaron, »das sind die Richtigen, die können uns sagen, wie es geschehen ist und wer es war.«
»Die
gardaí
!«
Wie aus einem Mund hatten Kitty und Lolly aufgekreischt, beide gleichermaßen entsetzt über einen solchen Vorschlag. Und auch jetzt entrüsteten sie sich im Chor: »Bist du von allen guten Geistern verlassen?« Weil Kitty die Empörtere von den beiden war – wenn auch nur geringfügig –, war es Lolly, die sich zu einer ersten Solobemerkung aufraffte. »Weshalb, bitte schön, sollte man zur
gardaí
gehen?«
Kitty, die sich etwas gefasst hatte, fügte hinzu: »Weshalb sollte man ausgerechnet die mit ins Spiel bringen?«
»Der Mann wurde schließlich umgebracht«, sagte Aaron.
»Aber das …«
»Wissen wir doch. Und du …«
»Weißt es genauso gut.«
»Was können die uns schon …«
»Sagen, was wir nicht …«
»Längst wissen?«
Die beiden Frauen sahen sich an, nickten einvernehmlich und schauten dann zu Aaron, mehr erstaunt als vorwurfsvoll. Den Blick weiterhin auf Aaron geheftet, sagte Lolly zu Kitty: »Er ist dein Neffe. Also sprich du mit ihm.«
Kitty räusperte sich und nahm zweifelsohne Anlauf zu längeren Ausführungen über die Geschichte der irischen Rechtssprechung. Gewiss würde sie die Herangehensweise der Iren begründen als von den Jesuiten ererbt und damit den unwiderlegbaren Beweis erbringen, dass bei Verbrechen der vorliegenden Art nicht die übliche Verfahrensweise in Betracht käme, dass die Beurteilung der Dinge nicht auf den Korridoren der Staatsgewalt, sondern mehr auf dem Gang im eigenen Haus erfolgen müsse. Es sei der heimische Herd und nicht der Gerichtssaal, wo man die Wahrheit zutage fördert, so wie auch Beweise nicht in dem grellen Schein von Neonleuchten im Labor erbracht werden, sondern eher im flackernden Licht des Kaminfeuers, wo die Schatten gleichermaßen über die Gesichter der Gerechten und der Schuldigen huschten. Wahrheit wäre höher zu bewerten als Rache, denn die Wahrheit als solche wäre die höchste Form von Strafe. Könne man sich eine größere Strafe vorstellen, als dass die Wahrheit bekannt würde und alle Taten eines Menschen vor dem Auge des Klägers offengelegt werden? Ohne Gefängnismauern und folglich ungeschützt, ständig dem allwissenden Blick der bohrenden Wahrheit ausgesetzt, würde der Schuldige geistige und seelische Qualen erleiden, egal, wie er damit umgeht, ob er sich schaudernd verkriecht oder eine arrogante Gleichgültigkeit zur Schau trägt. Wenn Lolly die Mörderin wäre, welche größere Strafe könnte es für sie geben, als dass seine Tante es wüsste? Wäre andererseits seine Tante diejenige welche, wasfür eine schlimmere Rache könnte man sich vorstellen als Lollys wissenden Blick und verstohlenes Grinsen? Flehentliche Bitten, ins Gefängnis zu dürfen, würden laut werden, Eingeständnis und öffentliche Beichte würde man als Gnade empfinden. Freiwillig gewählte Abgeschiedenheit wäre eine Option, Zurückgezogenheit eine
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