Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)
völlig. Aaron durchquerte die Küche, eilte vorbei an Tisch und Ausguss und ging zur Fliegentür. Sweeneys Kopf tauchte auf, dann ein Arm. Er saß wie ein Mann in der Badewanne. Er versuchte aufzustehen, aber irgendetwas war ihm im Weg. Er griff nach unten, zog einen ziemlich großen Beutel empor, aus Leder – oder aus von der Erde steif gewordenem Stoff –, und warf ihn raus auf den Erdhaufen neben dem Grab. Aaron hörte ein Rasseln, dann einen dumpfen Aufprall. Etwas hatte das Hinterbein des Schweins gestreift, aber es störte sich nicht daran. Sweeney schaute in die Runde, begutachtete seine Situation. Er setzte die Hände mit den Handflächen nach unten neben dem Beutel auf, und versuchte, sich hochzustemmen. Er hatte es vielleicht fünfzehn Zentimeter in die Höhe geschafft, als der Boden unter seinen Händen nachgab und er, Gesicht nach vorn, mit voller Wucht auf die lockere Erde fiel. Einen Augenblick lang bewegte er sich nicht, blieb mit dem Gesicht daliegen, wo es lag. Die Arme seitlich am Körper, kniete er in der Grube. Das Schwein wendete sich ab und trottete auf den Geräteschuppen zu.
Sweeney hob den Kopf, schüttelte ihn, wischte sich die Stirn, strich sich mit dem Ärmel über Augen und Mund, spie aus und stand auf. Er klopfte die Erde vom Sweater, von den Hosen und besonders sorgfältig von den Knien. Dann hob er den einen Fuß, befreite ihn von Erdklumpen, hob den anderen Fuß und wiederholte die Prozedur. Er zog die Hosen hoch, spuckte noch einmal aus und fuhr sich mit dem Ärmel über den Mund.
Aaron trieb es, ihm zu helfen. Er trat hinaus in den Hof und ließ die Tür laut zufallen, sollten Lolly und seine Tante merken, dass er hinausgegangen war. »Mr. Sweeney«, rief er und brachte es zuwege, nicht zu besorgt zu klingen. »Mr. McCloud«, schallte es von Sweeney zurück, überrascht und fröhlich, als hätte er nicht damit gerechnet, ihn hier zu sehen, und sei nun erfreut über den glücklichen Zufall. Ehe Aaron ihm behilflich sein konnte, fragte Sweeney: »Und was ist mit Ihnen passiert? Sie sind ja nass bis auf die Knochen.«
Aaron spürte die nasse Kleidung am ganzen Körper; das Salz rieb sich immer teuflischer in die Haut. Der Geruch der See und der Gestank nach Fisch jedoch schienen nachgelassen zu haben; es konnte aber auch daran liegen, dass eine Erkältung im Anzug war und seine Nase ihm den Dienst aufkündigte.
»Die Flut kam«, sagte er.
Sweeney, immer noch gut gelaunt, meinte: »Sie werden sich den Tod holen.« Wie auf Bestellung nieste Aaron. »Gesundheit. Gesundheit.«
»Danke.«
»Sie sind am Strand entlanggelaufen?« Sweeney schien durch die Vorstellung, die er heraufbeschworen hatte, beunruhigt.
»Ja.«
»Weit den Strand entlang Richtung Norden?«
»Ja.«
»Unterhalb der Landspitze, wo nur Felsen ist?«
»Ja.«
»Und dann kam die Flut?«
»Ja.«
Sweeney wurde immer ernster im Verlauf der Befragung. Er hatte je eine Hand auf die Grabränder gestützt, stand wie der Fragesteller bei einer Vernehmung und schien selbst völlig vergessen zu haben, dass er sich noch unten im Loch befand. »Und das Wasser stieg?«
»Ja, das Wasser stieg.«
»Und es kam zu den Klippen, an den Fuß der Steilküste, und dann begann es zu steigen? Das Wasser? Stieg?«
»Ja.« Aaron nieste, der Wunsch für gute Gesundheit blieb jedoch aus.
»Und Sie konnten nichts anderes tun, als ins Wasser zu gehen?«
»Da war ein Felsen.«
»Der Felsen. Ja, der Felsen. Sie sind auf den Felsen geklettert. Gerade noch zur rechten Zeit. Genau davor habe ich seit Jahren gewarnt. Seit Jahren.« Er sprach mit heiligem Ernst.
»Steigt die Flut dieser Tage immer höher?«, fragte Aaron.
»O nein, das ist es nicht. Es ist etwas, das jeder hier wissen müsste, wenn er ein bisschen Grips hat. Wir fischen nämlich nicht mehr so viel wie früher. Das mit dem Fischen war einmal. Aus und vorbei.« Unerschütterlich hatte sich der Mann aufgebaut, wie in einer Kanzel, nur dass er seine Erkenntnis und seine Weisheit nicht von erhöhtem Standpunkt aus, sondern aus der Tiefe verkündete. Ihm schien diese Umkehrung durchaus recht. »Keiner ertrinkt mehr«, sagte er. »Drei Jahre lang ist schon niemand ertrunken. Davor gab es mindestens zehn pro Saison. Aber jetzt fahrenzu wenige raus zum Fischen, zu wenige fallen dem Meer zum Opfer. Und trotz all der Jahre findet sich das Meer nicht damit ab. Es hat Geschmack an Menschen gefunden. Es hält Ausschau, das Meer, das Meer verlangt nach jemandem – egal, wer es ist –,
Weitere Kostenlose Bücher