Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)
auf, nicht ungleich dem Atem, wie er ihn von den Lebzeiten auf der Erde her kannte. Er öffnete die Augen. Zehn Zentimeter vor seiner Nase nahm er einen nassen Wirrwarr von Pflanzen wahr, bräunlich gelb, ins Grüne übergehend. Es roch nach nicht mehr frischem Fisch. Die Blätter sahen wie leere Samenhülsen vom Ahornbaum aus, in Abständen dazwischen längliche, von einem schleimigen Mantel umgebene Perlen. Vermutlich ein Meeresrosenkranz, der ihn zum Beten animieren sollte.
Wieder ging der Druck los. Aaron stöhnte. In rascher Aufeinanderfolge drei weitere Stöße seitlich an den Rippen. »Ha! Geschafft!«, hörte er eine Stimme. »Du hast es geschafft und ihn gerettet.« Es war eine Männerstimme, eine Stimme, die gleichzeitig erfreut und ungläubig klang. »Und du selbst? Wie fühlst du dich? Hast selbst genug Wasser geschluckt, nicht wahr?«
»Bis zum Abend wird’s schon werden«, hörte er eine andere Stimme, sie klang leise und ernst, kurze Atemstöße trennten die einzelnen Wörter. Aaron hob den Kopf, wollte ihn eigentlich drehen und sehen, wer da war, wollte sich vergewissern, was Sache war, wie es kam, dass er hier im Sand lag mit einem Bündel Seetang vor seiner Nase. Dass es ihm nicht gelungen war, den Mann im Kanu zu retten, er selbst aber gerettet worden war, hatte er begriffen, aber ein paar Einzelheiten hätte er schon gern gewusst. Er spürte eine Hand auf der Schulter, die ihn mit sanftem Druck aufforderte, den Kopf wieder zurückzulegen. »Gönnen Sie sich noch ein wenig Ruhe«, sagte die leise und ernste Stimme.
Gehorsam legte Aaron den Kopf zurück und starrte in das Algengewirr. Eine Wasserspinne näherte sich ihm, krabbelte von einer Perle zur nächsten, wanderte mehr seitwärts als obenauf, wobei die hauchdünnen Beine kaum die pelzige Oberfläche berührten. Nie zuvor war Aaron aufgefallen, wie winzig der Spinnenkörper war und wie lang und fein die Beine, die den Körper mühelos trugen, wohin er wollte. Als die Spinne nur noch zwei Fingerbreit von seiner Nase entfernt war, hob er wieder den Kopf und auch die rechte Schulter, um sich – ehe man ihn daran hindern konnte – umzudrehen und einen Blick auf seinen Retter zu werfen.
Auf dem Felsbrocken, auf dem Aaron zuvor seine Socke ausgezogen hatte, hockte Sweeney, nackt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in die Hände vergraben, mit dem Körper vor- und zurückschwankend, als beklagte ereinen Toten, aber ohne jedes Jammern oder Stöhnen. Wasser tropfte ihm vom Haar und auf die Hände und rann zwischen den Knöcheln in kleinen Rinnsalen die Handgelenke hinunter und weiter zu den Knien, wo sie in dem dichten roten Haar verschwanden, das sich auf Schienbeinen und Waden kräuselte.
Aaron, in Wirbelsäule, Armen und Beinen immer noch steif, stand auf, schaute in die Gegend und wusste nicht recht, was er sagen oder tun sollte. Dann sah er in drei Meter Entfernung den Mann stehen, den er zu retten versucht hatte, das Paddel des Kanus wie einen Stab in der rechten Hand haltend, das Kanu ihm zu Füßen mit der Spitze am Bein wie ein treuer Hund. Er schaute zu Aaron herüber. Seine Lippen hatte er vorgewölbt. Die Augen waren groß und rund und schienen amüsiert über das, was sie sahen. Aaron hatte das Gefühl, es war an der Zeit, ihm erneut auf die Nase zu dreschen. Er taumelte auf den Mann zu, stolperte aber, weil das Taubheitsgefühl in den Beinen stärker war als sein Wille.
»Das hier ist nicht die günstigste Stelle zum Schwimmen«, sagte der Mann. »Es gibt jede Menge besserer Buchten, da geraten Sie nicht in ähnliche Schwierigkeiten wie heute. Sie haben Glück gehabt. Wissen Sie übrigens, dass Sie nur eine Socke anhaben?«
Um dem Mann keine Chance für weitere Schadenfreude zu geben, wendete sich Aaron von ihm ab und ging auf Sweeney zu. Sweeney hatte die Hände vom Gesicht genommen und ließ sie zwischen den Knien baumeln, sie verdeckten nur zum Teil den schlaffen Penis und den lang hinunterhängenden Hodensack, der sich der Rundung des Steins, auf dem er saß, anschmiegte. Die heftigen Atemstöße waren etwas schwächer geworden. Mit leicht geöffnetem Mund und nach innen gekehrtem, traurigem Blick schaute er aufs Wasser. Seine Erschöpfung hatte ihn zu einer Ruhephase gezwungen, in der er weder mit Zornausbrüchennoch heller Verzweiflung seinen Kummer verbergen konnte.
Aaron war darauf bedacht, ihn nicht zu stören. Er war im Begriff, sich wieder zu dem Mann mit dem hundetreuen Kanu umzudrehen, als er es sich
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