Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)
Ende des grasbewachsenen Feldes. Es war fast Abend geworden. Am Horizont standen ein paar Wolken, ohne weiterzuziehen, und boten der Sonne eine Chance, sich noch einmal zu zeigen, ehe sie für die Nacht verschwand. Hell leuchtende Strahlen schossen bereits gen Himmel, ihr Orange und Gold, das den westlichen Himmel überzog, suggerierten in ihrer Herrlichkeit, dass der Himmel und nicht die Hölle der Ort des immerwährendenFeuers sein müsste. Das Gras wurde feucht, die Luft kalt. Das Meer wirkte bedrohlich und kündete sein Wüten an, das es sich für die Dunkelheit vorgenommen hatte, seinen Rachefeldzug gegen das Land und die dort Lebenden wegen der vom Tageslicht enthüllten Trostlosigkeit, so dass dem Meer nichts verborgen geblieben war.
Grunzend kam das Schwein aus dem Geräteschuppen und trottete gemächlich in den aufgewühlten Garten, wobei dieses Mal sein Interesse mehr der Stelle galt, an der einst Rüben gediehen. Aaron konnte nun mit gutem, wenn auch aufgerütteltem Gewissen den Spaten nehmen und sich an sein verbrecherisches Werk machen.
Im Grab stand Wasser, fünfzehn Zentimeter hoch. Natürlich konnte Aaron das Loch tiefer ausheben, dann überlegen, wie er die Schweinesuhle ausschöpfte und Declan eine trockene und geeignete Ruhestätte verschaffte. Während er grub, ließen ihm Gedanken an Phila und dass er sie verlassen hatte, keine Ruhe, kamen immer wellenweise, auf und ab, und waren schließlich nicht mehr wegzudrücken. Das Schwein war neugierig geworden und schaute ihm bei seiner Buddelei zu, verwundert, wie sein Betätigungsfeld eine Vergrößerung erfuhr. Aaron mühte sich im Schweiße seines Angesichts, hievte schwere Erdklumpen nach oben und setzte sie sorgfältig seitlich vom Grab und mit gutem Abstand ab. Schon bald machte er eine Pause und sah das Schwein an.
»Ich bin Phila untreu geworden«, sagte er, seine Stimme klang traurig und resigniert. »Ich versuche, an sie zu denken, aber immer kommt etwas dazwischen. Ich möchte an sie denken, aber …« Er hielt inne, seufzte und schüttelte langsam den Kopf. Das Schwein blinzelte. »Ich habe sie nie geliebt«, gestand Aaron schließlich. »Alles, was ich wollte, war, dass
sie mich
liebte. Und als sie es nicht tat, gefiel ich mir darin, mich selbst zu bemitleiden, vor Kummer zu vergehen,mir die Haare zu raufen, die Kleider zu zerreißen, aber Liebe war das nicht.« Das Schwein wackelte mit den Ohren, blieb jedoch stehen.
»Es sah wie Liebe aus. Ich empfand es als Liebe. Eifersucht, sehnsüchtiges Verlangen, Schmachten, all das. Aber es war keine Liebe. Es war Besessenheit. Ich war von ihr besessen. Liebe, nein. Besessenheit.« Das Schwein blinzelte und wackelte mit den Ohren. »Es gibt einen Unterschied zwischen Liebe und Besessenheit, auch wenn ich der Einzige bin, der ihn kennt. Sie sollte mich lieben, damit ich sie nicht lieben musste. Und als sie es nicht tat, obsiegte die Besessenheit. Und das ist die reine Wahrheit.«
Das geduldige Schwein tat nichts. Aaron schwieg einen Moment, dachte schon daran, mit dem Graben fortzufahren, entschied sich aber, doch noch ein paar Worte zu sagen.
»Selbst Proust kannte ihn nicht. Den Unterschied zwischen Liebe und Besessenheit. Proust glaubte, Marcel liebte Albertine. Tat er aber nicht. Marcel wollte nur, dass Albertine ihn liebte – und als sie es nicht tat, obsiegte auch bei ihm die Besessenheit. Und als sie dann, als er überzeugt war, dass sie ihn tatsächlich liebte, sogar kam, um mit ihm zusammen zu leben, da hatte er keinerlei Vorstellung, was er mit ihr anfangen sollte, wo er doch nun hatte, was er wollte. Er hatte sich in seiner Besessenheit ausgetobt, ein anderes Verlangen gab es nicht. Besessenheit, nicht Liebe.« Er hielt inne, überdachte das eben Gesagte und war selbst erstaunt über seine Erkenntnis. Sein Blick ging über den Geräteschuppen, über das Weideland und hinaus auf die See. Halb ehrfürchtig, halb ungläubig sagte er: »Ich weiß mehr als Proust. Stell dir das mal vor. Ich. Mehr als Proust.«
Wie bei ihrer ersten Begegnung antwortete das Schwein mit einem Strahl Pisse aus dem Hintern, wie es bei einer Sau eben so ist. Und als der Strahl in sich zusammenfiel, machte es kehrt und vergewisserte sich, dass keine Rübe seine früheren Verwüstungen überlebt hatte.
Aaron wendete seine Aufmerksamkeit wieder dem Grab zu und dem Wasser, das jetzt bis zum Rand seiner noch verbliebenen Socke ging. Er zerrte sie sich vom Fuß, wrang sie aus und warf sie in Richtung
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