Das Schwert der Keltin
redete stattdessen ununterbrochen auf den an seiner Seite reitenden Offizier ein.
Wirklich gefährlich wurden die Komplikationen im Ablauf der Prozession für Valerius’ Geschmack aber erst, als Dubornos plötzlich begann, die Ereignisse um sie herum zu kommentieren. Sie waren mittlerweile an einer Kreuzung angelangt, die von so hohen Häusern umgeben war, dass sich das Sonnenlicht nur gerade eben noch hindurchzwängen konnte. In diesem Armenviertel Roms türmten sich die Bauten geradezu übereinander; allerdings hatten die hier lebenden Römer den Vorteil, lediglich einen kleinen Fußmarsch vom Forum entfernt zu leben. Hier waren die Mietpreise und auch die städtischen Zuschüsse auf ein Minimum reduziert worden und die Fenster lagen so dicht beieinander, dass eine Prostituierte, die dem im Nebenzimmer befindlichen Mann ihre Dienste anbieten wollte, sich nur hinauszulehnen brauchte. War dieser dann auch noch so mutig, darauf zu vertrauen, dass das Gebäude während ihrer Geschäftsanbahnung nicht zusammenbrechen würde, so konnte er quasi von Fenster zu Fenster einschlagen und den Handel annehmen. Die gesamte Länge der Straße entlang rieselte Mörtel aus den Tür- und Fensterrahmen und schleimig grüne Mauerrisse zeigten an, wo sich einst einmal die Dachziegel befunden hatten oder wo die Regenrinnen fehlten.
»Ich habe zwei Großmütter gesehen«, bemerkte Dubornos. »Sie gingen hinkend die Straße entlang, doch keine von ihnen wurde von ihrem Enkel begleitet, der ihnen als Augen und als Ohren diente, so wie es selbst jetzt noch bei den Eceni Sitte ist.«
Weich hallten die in rollendem Eceni gesprochenen Worte in die Menge hinein, riefen dort allerdings nur Missbilligung hervor. Den Wartenden, für die Dubornos’ Tod zweifellos das Ereignis des Tages war, missfiel es nämlich, dass er nicht Latein sprach, denn auf diese Weise fühlten sie sich von seinem vermeintlichen Flehen ausgeschlossen. Einige pfiffen protestierend. Andere stimmten das tiefe, rhythmische Brummen an, das normalerweise nur den Verlierern der Gladiatorenkämpfe hinterherhallte.
Dubornos aber ignorierte sie einfach und fuhr fort: »Warst nicht auch du die Augen und die Ohren der Alten Großmutter, nachdem deine Schwester ihre langen Nächte in der Einsamkeit erlebt hatte? Schämst du dich denn gar nicht, ein Teil dieses Ganzen zu sein? Kann sich dein Gott dies alles wirklich so scheinbar seelenruhig ansehen; ist er etwa ernsthaft der Ansicht, dass es seinem Volke wohl ergeht?«
»Mein Gott ist nicht dein …«, entgegnete Valerius. Doch das war ein Fehler gewesen. Allein das beharrliche Schweigen war seine beste - seine einzige - Waffe gewesen. Sogleich riss auch die Stute den Kopf hoch, und hier und da ertönte in der Menge ein verhaltenes Jubeln, das dem Gefangenen zu seinem kleinen Erfolg gratulierte; nicht alle Römer standen auf Seiten der Legionssoldaten.
Doch wem auch immer ihre Sympathie gehörte, so wollten die Menschen doch vor allem einen Vorwand für einen Aufstand, und in diesem Augenblick waren sie recht nahe dran, diesen auch zu bekommen. Ein Stückchen Feuerholz von der Länge einer Hand sprang von der Seite des Eselkarrens ab und traf die Stute direkt unter dem Auge. Sofort brach sie seitwärts aus, und ihre Hufe rutschten über die zum Teil mit Metallplatten ausgebesserte Straße. Ihre Hinterhufe donnerten gegen eine Haustür und schlugen danach auf etwas Weiches ein. Von tief unten schrie eine Frau auf.
Seit der Wagen das Gefängnis verlassen hatte, hatte Caradoc eisernes Schweigen bewahrt. Nun jedoch zischte er: »Pass gefälligst auf, du Idiot!« Sein Tonfall war geradezu schneidend.
Valerius riss daraufhin an den Zügeln und stieß auf Thrakisch einige Flüche aus. Die Stute sprang wieder aus dem Türbogen heraus, hob dabei ihre Hufe aber verdächtig hoch an. Unter ihnen kam eine stark blutende aber noch lebende, betrunkene und halb erblindete Bettlerin zum Vorschein. Offenbar war dies der Platz gewesen, den sie sich für ihre Nachtruhe ausgesucht hatte. Nun aber lag sie auf dem Rücken, die Beine weit auseinander, und jammerte in unzusammenhängenden Klagen. Ihr linkes Bein war vom Oberschenkel an abwärts stark verdreht, und auch ihr linkes Handgelenk war gebrochen.
»Verdammt noch mal, hilf ihr doch endlich!«
Zwar hatte Caradoc diese Worte auf Eceni ausgesprochen, doch es war auch so allen klar, was er damit gemeint hatte. Von irgendwoher ertönte das heisere Lachen eines Mannes. »Na, mach schon, Dekurio,
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