Das Schwert der Keltin
das Bedürfnis, herauszufinden, was das bedeutete. »Bedaure, aber das geht leider nicht«, erwiderte er. »Da ist immer noch das Problem mit dem Schnee auf dem Dach der Versammlungshalle. Ich sollte das jetzt unverzüglich melden, solange noch Zeit zum Handeln ist.«
»Na schön, dann werde ich eben allein gehen.« Der Thraker salutierte. »War mir ein Vergnügen, dich kennen zu lernen.«
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits.« Sie hatten sich getrennt und waren jeder schon zehn Schritte in verschiedene Richtungen gegangen, als Valerius sich plötzlich noch einmal zu dem Thraker umwandte. »Du hast mir noch gar nicht gesagt, wie du heißt.«
»Sdapeze, Longinus Sdapeze, Waffenmeister und Oberstallmeister der Ala Prima Thracum.« Das Lächeln des Mannes war offen und freundlich. Er hatte helle, fast gelb erscheinende Augen, ähnlich wie die eines Falken. »Irgendwann demnächst, wenn der Schnee nicht mehr so hoch liegt, dass unsere Pferde sich die Gelenke verstauchen, werden wir beide zusammen ausreiten, und dann wirst du feststellen, dass ein thrakisches Pferd es mühelos mit jedem in Gallien gezüchteten Junghengst aufnehmen kann, sei er auch noch so übel gelaunt.«
Der Thraker war schon in der Dunkelheit verschwunden, bevor Valerius sich das Gesagte noch einmal durch den Kopf gehen lassen konnte und schließlich feststellte, dass dieses Letztere, das eher wie ein Wunsch geklungen hatte, in Wirklichkeit eine Herausforderung und ein Angebot gewesen war und er beides mit einem wortlosen Nicken angenommen hatte.
V
Wenn er sich strikt an die Vorschriften gehalten hätte, dann hätte Julius Valerius die Schäden durch den Schnee und die eingefrorenen Latrinenrohre seinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem Dekurio Regulus, gemeldet. Wenn er sich stattdessen an die Gebote seines Gottes gehalten hätte, hätte er den Zenturio der Dritten Kohorte der Zwanzigsten Legion aufgesucht, der sein neuer Vater Unter Der Sonne war, Nachfolger von Marullus, der inzwischen nach Rom gereist war, um seinen neuen Posten bei der Prätorianergarde anzutreten. Valerius tat jedoch nichts von alledem, sondern folgte dem Licht einer einzelnen Lampe südwärts die Hauptverkehrsstraße der Festung hinunter. Während er die breite Straße entlangmarschierte, verfolgte er die Spur eines einzelnen Paares von Fußabdrücken im Schnee, die in dieselbe Richtung führte.
Quintus Valerius Corvus, Präfekt der Ala Quinta Gallorum, bewohnte eines der kleineren Tribunshäuser; es befand sich nahe dem südlichen Ende der Hauptstraße, auf der dem riesigen überdachten Geviert der Legionsversammlungshalle gegenüberliegenden Straßenseite. Der Präfekt hatte Julius Valerius den Namen verliehen, den er jetzt trug, und fünf gute Jahre über war er auch derjenige gewesen, der Julius Valerius überhaupt noch einen Grund zu leben gegeben hatte. Es hatte eine Zeit gegeben - bevor die Quartiere für die Tribune bezugsfertig gewesen waren -, da erschien es als ziemlich wahrscheinlich, dass Valerius sogar ein eigenes Zimmer innerhalb von Corvus’ Unterkunft bewilligt werden würde. Tatsächlich hatte Valerius schon sehr bald - als noch überall das Chaos der Bauarbeiten herrschte und Männer in der ganzen Festung in halb fertigen Quartieren leben und des Nachts zwischen Haufen von Ziegelsteinen schlafen mussten, der Verputz auf den Wänden noch feucht und die Luft von dem Geruch nach Tünche erfüllt war - gewusst, welcher Raum das sein würde, selbst wenn er noch nicht dort geschlafen hatte.
Damals hatten noch die letzten Funken der Leidenschaft Valerius’ Herz gewärmt, und der schier unerträgliche Druck, unter dem er lebte, die ungeheure seelische Last, die er tagein, tagaus mit sich herumschleppte, hatte noch nicht begonnen, ihren vollen Tribut von ihm zu fordern. Er hatte zu jener Zeit noch einen untergeordneten Rang bekleidet und war bei seinen Kameraden ausgesprochen beliebt gewesen. Die unbeständige Schirmherrschaft des Kaisers Caligula und seine, Valerius’, Beziehung mit Corvus, die sein Ansehen bei den anderen Männern so leicht hätten beinträchtigen können, hatten ihn stattdessen zum Maskottchen der Truppe gemacht. Bei den Gefechten gegen die feindlichen germanischen Stämme am Rhein hatte er sich durch großen Mut und kämpferisches Können hervorgetan, und in seiner mehr oder minder erfolgreichen Bändigung des wilden, unberechenbaren Krähen-Pferdes hatte er sich überdies als ein Reiter erwiesen, der die Beförderung, die Corvus ihm
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