Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schwert der Vorsehung

Das Schwert der Vorsehung

Titel: Das Schwert der Vorsehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
Vom Netzwerk:
Rande des Kelches näherte. Er hatte das schon gesehen, früher einmal. Krämpfe, Zuckungen, ein unheimlicher, durchdringender, dann ersterbender Schrei. Und die Leere, die Leblosigkeit und Apathie in den sich langsam öffnenden Augen. Er hatte das schon gesehen.
    Ciri trank. Über Braenns regloses Gesicht rann eine Träne.
    »Genug.« Eithné nahm ihr den Kelch weg, stellte ihn zu Boden, strich dem Mädchen mit beiden Händen über die Haare, die in aschfarbenen Wellen auf die Schultern fielen.
    »Kind des Älteren Blutes«, sagte sie. »Wähle. Willst du im Brokilon bleiben oder deiner Vorherbestimmung folgen?«
    Der Hexer schüttelte ungläubig den Kopf. Ciri atmete etwas schneller, ihr Gesicht rötete sich. Und weiter nichts. Nichts.
    »Ich will meiner Vorherbestimmung folgen«, sagte sie mit klingender Stimme und schaute der Dryade in die Augen.
    »Also soll es so sein«, sagte Eithné knapp und kalt und wandte ihnen den Rücken zu. »Geht bitte.«
    Braenn griff nach Ciri, berührte Geralts Schulter, doch der Hexer schob ihre Hand weg.
    »Ich danke dir, Eithné«, sagte er.
    Die Dryade wandte sich langsam um.
    »Wofür dankst du mir?«
    »Für die Vorherbestimmung.« Er lächelte. »Für deine Entscheidung. Denn das war doch nicht das Wasser des Brokilon, nicht wahr? Ciris Bestimmung war es, nach Hause zurückzukehren. Du aber, Eithné, hast die Rolle der Vorsehung gespielt. Und dafür danke ich dir.«
    »Wie wenig du von der Vorherbestimmung weißt«, sagte die Dryade bitter. »Wie wenig du weißt, Hexer. Wie wenig du weißt. Wie wenig du verstehst. Du dankst mir? Dankst du für die Rolle, die ich gespielt habe? Für eine Jahrmarktsvorstellung? Für ein Kunststück, einen Schwindel, eine Mystifikation? Dafür, dass das Schwert der Vorsehung, wie du glaubst, aus Holz war, mit Flittergold überzogen? Also nur zu, danke mir nicht, sondern entlarve mich. Behaupte deinen Standpunkt. Beweise, dass die Vernunft auf deiner Seite ist. Wirf mir deine Wahrheit ins Gesicht, zeige, wie die nüchterne Menschenwahrheit triumphiert, der gesunde Menschenverstand, dank dem ihr eurer Meinung nach die Welt beherrschen werdet. Da ist das Wasser des Brokilon, es ist noch etwas übrig. Wagst du es? Welteroberer?«
    Obwohl ihre Worte ihn reizten, zögerte Geralt, doch nur einen Augenblick lang. Das Wasser des Brokilon, sogar das echte, hatte auf ihn keine Wirkung, gegen die darin enthaltenen toxischen, halluzinogenen Tannine war er völlig immun. Aber das konnte ja nicht das Wasser des Brokilon sein; Ciri hatte davon getrunken, und es war ihr nichts geschehen. Er griff nach dem Kelch, mit beiden Händen, und schaute in die grauen Augen der Dryade.
    Die Erde wich unter seinen Füßen weg, augenblicklich, und stürzte ihm auf die Schultern. Die mächtige Eiche begann zu wirbeln und zu zittern. Er fuchtelte mühevoll mit den starr gewordenen Armen, öffnete die Augen, doch das war, als ob er die Marmorplatte einer Gruft beiseiteschiebe. Er sah über sich das kleine Gesicht Braenns und hinter ihr die wie Quecksilber glänzenden Augen Eithnés. Und noch andere Augen, grün wie Smaragde. Nein, heller. Wie Frühlingsgras. Das Medaillon an seinem Halse zuckte, vibrierte.
    »Gwynbleidd«, hörte er. »Schau gut hin. Nichts, nichts hilft es dir, die Augen zu schließen. Schau, schau auf deine Bestimmung.«
    »Erinnerst du dich?«
    Ein plötzlicher Ausbruch von Klarheit, der den Rauchvorhang wegriss; große, von Kerzen schwere Leuchter, an denen Zungen von Wachs herabliefen. Steinerne Wände, eine steile Treppe. Ein grünäugiges und aschblondes Mädchen, das die Treppe herabkam, auf dem Kopf ein kleines Diadem mit einer meisterhaft gearbeiteten Gemme, in einem blau-silbernen Kleid mit einer Schleppe, die von einem Pagen in scharlachrotem Wams getragen wurde.
    »Erinnerst du dich?«
    Seine eigene Stimme, die sprach ... sprach ...
    In sechs Jahren kehre ich zurück ...
    Eine Gartenlaube, Wärme, Blumenduft, das schwere monotone Summen von Bienen. Er selbst, wie er auf Knien einer Frau mit aschblonden Haaren, die in Locken hinter einem schmalen Goldreif hervorfallen, eine Rose gibt. An den Fingern ihrer Hand, die die Rose aus seiner Hand nimmt, Ringe mit Smaragden, große, grüne Cabochons.
    »Komm wieder«, sagt die Frau. »Komm wieder, wenn du deine Meinung änderst. Deine Vorherbestimmung wird warten.«
    Ich bin nie wiedergekommen, dachte er. Nie bin ich dorthin ... zurückgekehrt. Ich bin nie nach ...
    Wohin?
    Aschfarbene Haare. Grüne

Weitere Kostenlose Bücher