Das Schwert der Vorsehung
den Fingern zu ihrer Hand zurück, drückte sie wieder.
Das Medaillon am Hals begann zu vibrieren, regte sich.
»Ich danke dir, Visenna«, wiederholte er mit beherrschter Stimme. »Ich bin froh, dass sich unsere Wege gekreuzt haben.«
»Ein Zufall ...«, sagte sie, doch diesmal lag in ihrer Stimme keine Kälte.
»Oder vielleicht die Vorsehung?«, fragte er verwundert, denn Aufregung und Nervosität waren auf einmal spurlos verschwunden. »Glaubst du an Vorherbestimmung, Visenna?«
»Ja«, antwortete sie nach kurzem Zögern. »Ich glaube daran.«
»Daran«, fuhr er fort, »dass von der Vorsehung verbundene Menschen einander immer begegnen?«
»Daran auch ... Was tust du? Dreh dich nicht um ...«
»Ich will dir ins Gesicht sehen ... Visenna. Ich will in deine Augen schauen. Und du ... Du musst mir in die Augen schauen.«
Sie machte eine Bewegung, als wolle sie aufstehen. Er drehte sich langsam um, verzog vor Schmerz den Mund. Es war heller, jemand hatte wieder Holz ins Feuer geworfen.
Sie bewegte sich nicht mehr. Sie hatte nur den Kopf zur Seite gewandt, ins Profil, aber umso deutlicher sah er, dass ihre Lippen zuckten. Sie schloss die Finger um seine Hand, kräftig.
Er schaute.
Da war keinerlei Ähnlichkeit. Sie hatte ein ganz anderes Profil. Eine kleine Nase. Ein schmales Kinn. Sie schwieg. Dann neigte sie sich plötzlich, blickte ihm geradezu in die Augen. Aus der Nähe. Wortlos.
»Wie gefalle ich dir?«, fragte er ruhig. »Meine korrigierten Augen? Die so ... ungewöhnlich sind. Weißt du, Visenna, was mit den Augen der Hexer gemacht wird, um sie zu korrigieren? Weißt du, dass es nicht immer gelingt?«
»Hör auf«, sagte sie sacht. »Hör auf, Geralt.«
»Geralt ...« Er fühlte plötzlich, wie etwas in ihm zerriss. »Diesen Namen hat mir Vesemir gegeben. Geralt aus Rivien! Ich habe sogar gelernt, den rivischen Akzent nachzuahmen. Wohl aus dem inneren Bedürfnis, eine Heimatbindung zu haben. Und sei es eine erfundene. Vesemir ... er hat mir den Namen gegeben. Vesemir hat mir auch deinen verraten. Ziemlich ungern.«
»Still, Geralt, still.«
»Du sagst mir heute, dass du an die Vorherbestimmung glaubst. Und damals ... Hast du damals daran geglaubt? Ach ja, du musst es geglaubt haben. Du musst geglaubt haben, dass uns die Vorsehung zusammenführen würde. Dem muss man es zuschreiben, dass du selbst keineswegs nach solch einer Begegnung gestrebt hast.«
Sie schwieg.
»Ich wollte immer ... Ich habe darüber nachgedacht, was ich dir sagen werde, wenn wir uns endlich begegnen. Ich habe über die Frage nachgedacht, die ich dir stellen würde. Ich habe geglaubt, das würde mir ein perverses Vergnügen bereiten ...«
Das, was auf ihrer Wange glänzte, war eine Träne. Zweifellos. Er fühlte, wie sich ihm die Kehle zusammenkrampfte, dass es schmerzte. Er fühlte sich müde. Schläfrig. Schwach.
»Im Lichte des Tages«, stöhnte er. »Morgen, bei Sonnenschein, werde ich dir in die Augen blicken, Visenna ... Und ich werde dir meine Frage stellen. Oder vielleicht werde ich sie nicht stellen, weil es schon zu spät ist. Vorherbestimmung? O ja, Yen hatte recht. Es genügt nicht, füreinander bestimmt zu sein. Es braucht etwas mehr ... Aber ich werde dir morgen in die Augen schauen ... Im hellen Sonnenlicht ...«
»Nein«, sagte sie sanft, leise, mit samtener Stimme, die zitterte, die über die Schichten der Erinnerung riss, einer Erinnerung, die es nicht gab. Die es nie gegeben hatte, und die doch da war.
»Doch!«, widersprach er. »Doch. Ich will es ...«
»Nein. Du wirst jetzt einschlafen. Und wenn du aufwachst, wirst du es nicht mehr wollen. Wozu sollen wir einander im hellen Sonnenlicht anschauen? Was ändert das? Es lässt sich nichts mehr zurücknehmen, nichts mehr ändern. Welchen Sinn hat es, mir Fragen zu stellen, Geralt? Wird die Tatsache, dass ich außerstande sein werde, sie dir zu beantworten, dir wirklich perverses Vergnügen bereiten? Was soll es uns helfen, einander wehzutun? Nein, wir werden einander nicht bei Tageslicht anschauen. Schlaf, Geralt. Und unter uns gesagt, es war durchaus nicht Vesemir, der dir den Namen gegeben hat. Obwohl auch das nichts ändert und nichts rückgängig macht, möchte ich, dass du es weißt. Werd gesund und pass auf dich auf. Und versuch nicht, mich zu suchen ...«
»Visenna ...«
»Nein, Geralt. Du wirst jetzt einschlafen. Und ich ... war dein Traum. Leb wohl.«
»Nein! Visenna!«
»Schlaf.« In der Samtstimme ein Befehl, der den Willen brach, ihn
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