Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
Es war die Erinnerung an jenen Morgen, als er aufgewacht war und Kahlans Abwesenheit bemerkt hatte, die grauenvolle Erinnerung an den Morgen, an dem sie verschwunden war. Es war der angstbesetzte Wachtraum über jenen Albtraum, in den sein Leben sich verwandelt hatte, und doch wusste er, irgendetwas daran bewirkte, dass er wieder und wieder vor seinem inneren Auge vorüberzog. Tausendfach hatte er ihn in Gedanken bereits analysiert, trotzdem kam Richard einfach nicht darauf, was an dieser speziellen Erinnerung so bemerkenswert war. Gewiss, der Wolf, der ihn damals geweckt hatte, war ihm ein wenig merkwürdig erschienen, wenn auch längst nicht so merkwürdig, dass er ihn bis heute verfolgen müsste.
Richard blickte im trüben Dämmerlicht um sich, konnte Cara aber nirgends entdecken. In der Ferne jenseits des nahezu undurchdringlichen Waldstücks konnte er gerade eben den noch schwachen roten Streifen ausmachen, der sich im Osten am unteren Rand des Himmels abzuzeichnen begann – ein farbiger Schlitz, beinahe so, als sickere Blut durch eine klaffende Wunde des schieferschwarzen Himmels jenseits der vollkommen reglosen Bäume.
Er war noch immer hundemüde von dem erbarmungslosen Tempo, das sie auf ihrem scharfen Ritt aus dem Zentrum der Alten Welt bis hierher angeschlagen hatten. Mehrfach waren sie von patrouillierenden Soldaten angehalten worden, wie man sie überall in den Midlands antraf, aber auch von Besatzungstruppen – die Begegnungen waren unangenehm genug gewesen, auch wenn es sich nicht um die Hauptstreitmacht der Imperialen Ordnung gehandelt hatte. Ein einziges Mal hatte man ihn und Cara, die sich als Steinmetz und dessen Ehefrau ausgaben, auf ihrem Weg zu der Arbeitsstelle weiterziehen lassen, die er zum Ruhm der Imperialen Ordnung erfunden hatte, in allen anderen Situationen hatten sie sich ihren Weg gewaltsam freikämpfen müssen – und das war nicht ohne Blutvergießen abgegangen.
Er brauchte dringend mehr Schlaf – unterwegs hatten sie kaum Gelegenheit dazu gehabt -, aber solange Kahlan verschwunden blieb, war an mehr als das unbedingt nötige Quantum nicht zu denken. Er wusste nicht, wie viel Zeit ihm noch blieb, sie wiederzufinden, jedenfalls hatte er nicht die Absicht, auch nur einen Bruchteil davon zu verschwenden. Er weigerte sich standhaft zu glauben, seine Zeit könnte längst abgelaufen sein.
Vor nicht allzu langer Zeit war eines ihrer Pferde an Erschöpfung eingegangen, wann genau, war ihm entfallen. Ein anderes hatte zu lahmen begonnen, und sie hatten es zurücklassen müssen. Aber über die Beschaffung frischer Pferde würde er sich später Gedanken machen, im Augenblick hatten sie dringendere Sorgen. Sie befanden sich bereits ganz in der Nähe der Weite Agaden, der Heimat Shotas. Die letzten beiden Tage hatten sie sich bei stetig ansteigendem Gelände immer höher in das gewaltige Gebirge gekämpft, das die Ebene wie ein Ring umschloss.
Er reckte seine schmerzenden, müden Muskeln und versuchte ein weiteres Mal, sich zu überlegen, wie er Shota überzeugen könnte, ihm zu helfen. Einmal hatte sie es bereits getan, aber das war noch lange keine Garantie dafür, dass sie es auch diesmal tun würde. Shota konnte, um es vorsichtig auszudrücken, mitunter recht schwierig sein. Es gab Menschen, die so große Angst vor dieser Hexe hatten, dass sie nicht einmal ihren Namen laut auszusprechen wagten.
Zedd hatte ihm einmal erklärt, dass Shota einem niemals verriet, was man wissen wollte, ohne nicht wenigstens ein Detail hinzuzufügen, auf das man lieber verzichtet hätte. Er konnte sich eigentlich gar nicht vorstellen, was das sein sollte, vielmehr hatte er eine sehr klare Vorstellung, was er wissen wollte, und war deshalb fest entschlossen, alles aus Shota herauszubekommen, was sie über Kahlans Verschwinden oder ihren derzeitigen Aufenthaltsort wusste. Und wenn sie sich weigerte, würde es eben Ärger geben.
Während er sich immer mehr in seinen Zorn hineinsteigerte, bemerkte er, wie sich ein kühler, belebender Hauch von Morgentau auf sein Gesicht legte – und im selben Moment gewahrte er eine Bewegung zwischen den Bäumen.
Um in der Dunkelheit besser sehen zu können, kniff er die Augen halb zusammen. Eine leichte Brise war es jedenfalls nicht, die die Blätter in Bewegung versetzt hatte, denn in der Stille des Waldes kurz vor Anbruch der Dämmerung regte sich kein Lüftchen.
Es war, als bewegten sich schattenhafte Baumstämme durch das trübe Dunkel .
An jenem Morgen hatte sich
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