Das Schwert der Wahrheit 9: Die Magie der Erinnerung (German Edition)
missmutig. »Das war es doch wohl, was Ihr mir sagen wolltet.«
Richard hatte zwar Verständnis für ihren Unmut, aber da er ihr keine Aussicht auf baldige Besserung versprechen konnte, antwortete er nur: »Schon möglich.«
Unvermittelt schälte sich ein kleines dunkles Etwas aus den Schneeschleiern und bewegte sich rasch auf sie zu. Er hatte es gerade erst erblickt und noch keine Gelegenheit gehabt zu reagieren, da warf es sich bereits gegen ihn und brachte ihn zu Fall.
38
Seine Beine wurden in die Luft gerissen, und für einen winzigen Moment sah Richard den Erdboden ganz nah vor seinem Gesicht, dann war es nur noch weiß vor seinen Augen. Einen Moment lang wusste er nicht mehr, wo oben oder unten war, er verlor jegliche Orientierung, prallte mit seinem vollen Gewicht hart auf den Boden und stürzte aufgrund seines Schwungs Hals über Kopf den Hang hinab. Der Schnee vermochte seinen Sturz kaum abzufedern.
Das Ganze war so rasch und unerwartet geschehen, dass er kaum Zeit gehabt hatte, sich für den Sturz zu wappnen, aber als Ausrede erschien ihm Unachtsamkeit in diesem Moment erbärmlich, zumal sie ihn kaum trösten konnte.
Der Sturz war so rasant und der Hang so steil, dass er sich auf seinem immer mehr beschleunigenden Fall unmöglich irgendwo festhalten konnte, zudem erschwerte seine Lage mit dem Gesicht voran jede wirkungsvolle Maßnahme zusätzlich. In einem verzweifelten Versuch, seinen Sturz doch noch zu stoppen oder wenigstens abzubremsen, breitete Richard die Arme aus und versuchte, Hände und Füße in den Schnee und das Geröll zu graben, um seinen völlig außer Kontrolle geratenen Absturz auf dem steilen Hang zu verlangsamen.
Dann sah er einen Schatten vorüberhuschen und konnte über das Tosen des Windes hinweg wüste, aufgebrachte Schreie hören. Ein harter Gegenstand traf ihn wuchtig von hinten in die Rippen. In einem Versuch, sein beängstigendes Abgleiten ein wenig abzubremsen, bohrte er Finger und Stiefelspitzen noch tiefer in das unter dem Schnee liegende Geröll, und wieder kam ihm der dunkle Schatten aus dem wirbelnden Schnee entgegengeflogen, und wieder traf ihn ein wuchtiger Schlag, nur erheblich härter diesmal, genau in die Nieren und in der eindeutigen Absicht, seinen jähen Absturz noch zu beschleunigen. Der Schock des plötzlichen Schmerzes ließ Richard einen Schrei ausstoßen. Als er sich in seiner Not nach rechts hinüberwälzte, vernahm er das unverwechselbare stählerne Klirren, als das Schwert der Wahrheit mit einer schnellen Bewegung aus der Scheide gerissen wurde.
Im Rutschen wälzte Richard sich auf seine andere Seite und versuchte das Schwert noch festzuhalten. Wohl wissend, dass seine Hand entzweigeschnitten werden konnte, wenn er die rasiermesserscharfe Klinge selbst erwischte, versuchte er stattdessen, das Heft oder wenigstens den Handschutz zu packen, doch es war bereits zu spät. Sein Angreifer hatte die Fersen eingegraben und bremste ab, während Richard unaufhaltsam weiterrutschte.
Seine unbeholfene Körperdrehung beim Versuch, sein Schwert zu greifen, hatte ihn zusätzlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Immer wieder prallte er gegen Unebenheiten im Boden und wurde schließlich kopfüber in eine Vorwärtsrolle katapultiert.
Um den völlig außer Kontrolle geratenen Überschlag wenigstens ein wenig abzubremsen, breitete er die Arme aus, als er mit dem Rücken gegen einen unter dem Schnee verborgenen, vorspringenden Felsen prallte und liegen blieb. Gleich neben ihm gähnte der Abgrund. Wieder wurde ihm die Luft brutal aus den Lungen gepresst, diesmal allerdings begleitet von erheblich heftigeren Schmerzen.
Über ihm, die Füße weit gespreizt, stand plötzlich eine untersetzte, düstere Gestalt mit langen, schlaksigen Armen, bleichem Schädel und grauer Haut und starrte ihn aus ihren hervortretenden gelblichen Augen an – zwei leuchtende Laternen im trügerischen bläulichen Dämmer des Schneesturms. Ihre blutleeren Lippen schälten sich von ihren Zähnen zu einem breiten Grinsen, das ihre scharfen Reißer sehen ließ.
Samuel, der Gefährte Shotas.
Er hielt Richards Schwert mit einer Hand fest umklammert und schien sehr zufrieden mit sich selbst. Samuel trug ein dunkelbraunes Gewand, das im Wind wie eine Siegesfahne flatterte. Schließlich trat er ein paar Schritte zurück und wartete, offenbar um zu sehen, wie Richard in den nahen Abgrund stürzte.
Richards Finger begannen abzurutschen. Er versuchte noch, seine Arme um die Felsnase zu bekommen, um
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