Das Schwert des Königs - Dark City ; 3
wurde vor wenigen Tagen fertiggestellt», sagte Arlo.
Drakar lief langsam um den Tisch herum und fuhr dabei mit seinen Fingerspitzen der Mauer entlang. Als er das große Tor im Osten erreichte, blieb er stehen, und die Faszination in seiner Stimme war gänzlich verschwunden.
«Wozu hast du sie errichten lassen? Um dir ein Denkmal zu setzen?»
«Ich hatte eine Vision von der Zukunft.»
Drakar lachte hell auf. «Eine Vision? Das erklärt einiges! Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, du hättest diesen Kinderkram endlich hinter dir gelassen. Shaíria braucht einen König, keinen Fantasten!»
«Dieses Gespräch ist zu Ende», sagte Arlo in einem Tonfall, der keinen Zweifel an seiner königlichen Autorität aufkommen ließ.
Prinz Drakar schüttelte den Kopf. «Du hast den Verstand verloren, Arlo! Siehst du das nicht? Einer deiner Diener hat mir gesagt, du hättest des Nachts Alpträume. Er sagte mir, du würdest Selbstgespräche führen. Manchmal höre er dich lachen oder weinen. Und manchmal würde er sehen, wie Licht unter deiner Tür hindurchdringt. Was treibst du bei Nacht in deinem Schlafgemach, Arlo? Ist es das Buch, das dich in den Wahnsinn treibt? Hat das Wort dir befohlen, diese Mauer zu bauen? Was geschieht mit dir, Bruder?! Was ist nur los mit dir?!»
Arlo schwieg. Er starrte auf die Mauer und schien auf einmal in Gedanken versunken. Drakar ging um den Tisch herum und packte seinen Bruder reflexartig an der Schulter.
«Rede mit mir!», rief er aufgebracht. «Ich habe ein Recht zu erfahren, was du vorhast! Immerhin bin ich derjenige, durch dessen Adern königliches Blut fließt, nicht du!»
Arlo warf seinem jüngeren Bruder einen unmissverständlichen Blick zu. Drakar ließ von ihm ab, als ihm bewusst wurde, was er da gerade von sich gegeben hatte.
«Es tut mir leid», murmelte er betreten, «ich hab das nicht so gemeint.»
In diesem Moment polterte jemand gegen die Tür, und die beiden Brüder wirbelten gleichzeitig herum. «Eure Hoheit!», ertönte von draußen die atemlose Stimme eines Dieners. «Etwas Schreckliches ist geschehen!»
«Wartet!», rief Arlo in Richtung Flügeltür. Dann setzte er sich auf seinen Thron und ließ den Tisch mit der Mauer im Boden versinken, ehe er den Diener bat, einzutreten. Der junge Mann eilte keuchend durch den Thronsaal und warf sich dem König vor die Füße.
«Sprecht!», forderte ihn Arlo auf.
Der Diener war kreidebleich im Gesicht. «Eure Hoheit. Eben wurde mir mitgeteilt, dass am Stadtrand … Etwas Furchtbares ist geschehen … etwas, das seit tausend Jahren nicht mehr passiert ist auf unserer Insel …»
«Jetzt redet schon!», mahnte ihn Drakar. Er stand mit verschränkten Armen neben dem Thron seines Bruders und sah den Diener ungeduldig an.
Der Mann war so verstört, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Er reichte Arlo einen Kommunikator. Der König drückte einen kleinen seitlichen Knopf, und nach einem kurzen Rauschen war die verzerrte Stimme eines Propheten zu hören. Was er sagte, ließ Arlo und Drakar erschauern.
«Wir sind in einer halben Stunde bei Euch», antwortete Arlo und gab dem Diener den Kommunikator zurück.
«Was wirst du jetzt tun?», fragte Drakar.
«Was ich tun muss», murmelte Arlo.
7
Unverzüglich ließen die Brüder alles stehen und liegen und ritten zu dem Haus am Stadtrand, das ihnen der Prophet angegeben hatte. Getrieben von der grauenvollen Neuigkeit, galoppierten sie durch die Straßen von Vardja und sprachen kein Wort miteinander. Ihre prachtvollen Umhänge flatterten im Wind, während sie über das schockierende Ereignis nachdachten. Wie konnte so etwas passiert sein? In Shaíria?
Als sie die bescheidene Hütte mit Strohdach erreichten, hatte sich bereits eine große Menschentraube davor gebildet. Die ganze Stadt war auf den Beinen, und die Leute waren völlig verstört. Niemand konnte glauben, dass dies tatsächlich geschehen war. Und das in ihrer friedlichen Stadt! Es wurde getuschelt und eifrig diskutiert. Frauen schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, andere standen nur betroffen da und wischten sich heimlich Tränen aus dem Gesicht. Es herrschte eine Stimmung, als wäre das Ende der Welt gekommen.
Was hatte das zu bedeuten? Seit Generationen gab es auf ganz Shaíria keine Ordnungshüter mehr, keinen Gerichtshof, nicht einmal ein Gefängnis. Seitdem das Wort das Denken und Handeln der Bevölkerung lenkte, waren all diese Maßnahmen überflüssig geworden. Es gab niemanden, der irgendein Unrecht tat, es
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