Das Schwert des Königs - Dark City ; 3
die sich an diesem Tag in der Vulkanstadt aufhielten, blieben von dem Unheil verschont.»
Der dunkle Junge mit den goldenen Locken stellte die Schale neben sich auf den Boden und ließ seinen Blick wehmütig über das Feuer hinweggleiten. Zum ersten Mal, seit die Jugendlichen ihn getroffen hatten, sah er nicht mehr aus wie ein Knabe mit nichts als Flausen im Kopf, sondern wie ein alter, gebrechlicher Mann. Die Vergangenheit hatte ihn eingeholt, und es waren keine guten Erinnerungen. Er erzählte weiter, und die Gefährten hörten ihm schweigend zu.
«Es waren um die fünfhundert Menschen, die an diesem Tag die Katastrophe überlebten. Wir blieben vierzig Tage unter der Erde, bevor die Oberfläche sich genug abgekühlt hatte, dass man sie wieder betreten konnte. Es sah ziemlich übel aus. Ziemlich übel, das könnt ihr mir glauben. Es war einfach nichts mehr da, keine Häuser, keine Bäume, keine grünen Wiesen, keine Tiere, keine Menschen – nichts. Die Welle hatte alles von der Landkarte weggefegt. Shaíria war zerstört. Ganze Berghänge waren eingestürzt. Die prunkvollen Städte mit all ihren modernen Gebäuden und all ihrer fortschrittlichen Technik lagen in Schutt und Asche. Die Luft war stickig und erfüllt von einem beißenden Rauch, der einem die Tränen in die Augen trieb. Es dauerte einen Monat, bis man wieder einigermaßen etwas sehen konnte und sich der Rauch in die Höhe verzogen hatte, wo er wie eine dunkle Wolke schwer und dick hängen blieb und das Licht der Sonne verdeckte. Ein Land des Lichts hatte sich in ein Land der Finsternis verwandelt. Und seither ist es in Shaíria nie mehr richtig Tag geworden. Die Erde hat sich zwar teilweise erholt, und da und dort begannen auch wieder Pflanzen zu wachsen, die unser Überleben sicherten, aber es war nicht mehr dasselbe. Das Paradies, wie wir es gekannt haben, gab es nicht mehr.»
Die Freunde hingen an Pishdas Lippen. Sein Bericht erschütterte sie. Nie zuvor waren sie jemandem begegnet, der die Katastrophe außerhalb der Mauer miterlebt hatte. Sie konnten es in seinen Augen lesen, dass ihm das Ganze noch heute zu schaffen machte.
«Ich weiß nicht, wie viele in der großen Flutwelle ihr Leben verloren, es müssen Zehntausende gewesen sein», sagte er wehmütig.
«Warum, denkst du, ist das alles passiert?», sprach Aliyah aus, was alle schon insgeheim gedacht hatten. «Glaubst du, Gott hat diesen Asteroiden geschickt? Glaubst du, er wollte die Inselbewohner für irgendetwas bestrafen?»
«Glaubst du, deine Blindheit war eine Strafe Gottes?», stellte Pishda eine Gegenfrage. «Wir sollten weniger nach dem Warum fragen und mehr nach dem Wozu. Alles, was ich weiß, ist, dass Arlo sie alle hätte retten können. Hätten sie nur auf ihn gehört und wären mit ihm in den großen Mauerring gezogen, den er zu ihrem Schutz hatte bauen lassen.»
Das Feuer flackerte und warf große tanzende Schatten an die Höhlenwand. Miro schüttelte betroffen den Kopf.
«Was hatten wir doch für ein verdrehtes Bild von all diesen Ereignissen. In unsern Geschichtsbüchern steht, die Hexen hätten die Mauer errichtet, um uns darin einzusperren und die Macht an sich zu reißen. So wird es in Dark City an jeder Schule gelehrt.»
«Dark City?», fragte Pishda verwundert. «Hexen? Wovon redest du?»
«Das Gebiet innerhalb der Mauer wird Dark City genannt», klärte ihn Miro auf. «Und die Propheten werden nicht mehr Propheten genannt – sondern Hexen. Sie werden erbarmungslos verfolgt und öffentlich verbrannt.»
Pishda schaute ihn entsetzt an. «Bei Shaíria», murmelte er. «Ich wusste immer, dass uns schlimme Zeiten bevorstehen. Aber dass es so schlimm sein würde, das habe ich nicht gewusst. Wer hat das veranlasst?»
«Drakar der Erste. Gleich bei seinem Regierungsantritt», berichtete Aliyah. «Und Drakar der Zweite hat nach dem Tod seines Vaters dessen Mission übernommen und es sich zum Ziel gesetzt, sämtliche Hexen und Hexer in Dark City auszurotten.»
«Erst wenn die letzte Hexe verbrannt ist, so heißt es, wird das Licht nach Dark City zurückkehren», ergänzte Sihana.
«Großer Gott», flüsterte Pishda. Sein rechtes Auge begann leicht zu zucken. Er blickte starr vor sich hin. «Großer Gott, Drakar. Was ist aus dir geworden?»
«Du kanntest ihn?»
«Offenbar nicht gut genug», sagte Pishda, und seine Stimme klang brüchig. Seine Schultern waren gebeugt. «Das hätte ich ihm niemals zugetraut», stellte er leise fest. «Drakar. Wie konntest du dich nur
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