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Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)

Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert des Königs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Bledsoe
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hatte die Tür verschlossen gefunden, was nach ihrer Aussage nie zuvor geschehen war. Zusammen mit der Dienstmagd Sween hatte sie an der Tür geklopft, jedoch keine Antwort erhalten. Als die beiden Frauen Rauch rochen, hatten sie Thomas Vogel, einen Hauptmann der Palastwache, zu sich gerufen, der die Tür sofort gewaltsam geöffnet hatte.
    Die Aussage des Hauptmanns fand ich außerordentlich aufschlussreich. Als erfahrener Soldat war er auch in dieser kritischen Lage imstande gewesen, jede Einzelheit genau zu erfassen. Demnach hatte die Königin nackt auf dem Boden gelegen, über und über befleckt von einer »roten Substanz, die Blut zu sein schien«. Auf dem Fußboden befand sich ein Kreis, »an dessen Rand unterschiedliche, mit Kreide eingezeichnete Symbole ins Auge fielen«. Er erwähnte auch ein Messer, einen Stock mit drei Federn und einen Bund Kräuter, die er für Weihrauch hielt – was sich später als richtig herausstellte. Im Mittelpunkt des Kreises stand eine glühende Kohlenpfanne, über der ein kleiner Kessel hing. Dieser Kessel und der Weihrauch waren für den Rauch verantwortlich, den Maxwell und Sween gerochen hatten.
    Während die beiden Frauen sich um die zu Boden gestürzte Königin kümmerten, hatte Vogel den Kessel untersucht
und darin »kochendes Wasser und mehrere Knochengebilde« entdeckt, von denen »eines wie der Schädel eines Kleinkinds« aussah. Das Fenster hatte offen gestanden, doch wäre es nach Aussage Vogels niemandem möglich gewesen, auf diese Weise ins Zimmer einzudringen. Die Fenster, betonte er, seien alle vergittert, und die darunter liegende nackte Wand reiche vier Stockwerke in die Tiefe, dazu sei dieser Bereich des Schlosshofes bestens bewacht.
    Als die Königin erwachte, wurde ihr sofort furchtbar übel. Vogel, merklich stolz auf seine gute Beobachtungsgabe, erwähnte in seinem Bericht, sie habe »große Brocken ausgespuckt, die nach gekochtem Fleisch aussahen«.
    Unverzüglich hatte Vogel das Kinderfräulein Maxwell, die gefasstere der beiden Frauen, nach unten geschickt, um König Philipp zu holen. Danach hatte er die Zimmerflucht abgesperrt und dafür gesorgt, dass nichts angerührt wurde. Die wenigen Minuten bis zur Ankunft des Königs hatte er dazu genutzt, Muster und Auffindungsort jener Gegenstände zu skizzieren, die sich im Kreis befunden hatten. Darüber hinaus hatte er eine – durch kleine Gedächtnisstützen ergänzte – Liste aller Bankettgäste angefertigt, auf der er beispielsweise vermerkt hatte: Dame, die ihren Pudel anblaffte. Blonder Mann mit hässlichem Schimpansen. Gräfin, die unter Blähungen litt. Baron und junger Fußsoldat mit auffallender Familienähnlichkeit.
    Ich musste lächeln: Mit einem Dutzend solch besonnener Männer wie Vogel hätte ich mir zugetraut, die ganze Welt zu regieren.
    Sobald der König und Wentrobe im Kinderzimmer angekommen waren, hatten sie versucht, die Einzelteile des
Geschehens zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Offenbar hatte die Königin, die nie zuvor ein Interesse am Handwerk der Mondpriesterinnen gezeigt hatte, ein Ritual durchgeführt, bei dem sie ihren Sohn nicht nur geopfert, sondern auch Teile von ihm verzehrt hatte.
    Die Königin behauptete, sich nur noch daran erinnern zu können, dass sie während des Stillens eingeschlafen sei. Selbstverständlich entlastete sie das nicht. Phil war klar, was auf ihn zukommen würde, wenn er nicht unverzüglich handelte; eine peinlich genaue Untersuchung der Ereignisse wurde eingeleitet. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als die eigene Frau wegen Mordverdachtes festnehmen und in den Gefängnisturm sperren zu lassen, in dem die gefährlichsten oder schlimmsten Verbrecher des Landes einsaßen. Und danach hatte er heimlich Sir Michael nach mir ausgeschickt.
    Königin Rhiannon war seit einer Woche in Haft, durfte keine Besucher empfangen und hatte, mal abgesehen von den Gefängniswärtern, überhaupt keinen Kontakt mit der Außenwelt. Selbst Phil hatte sie nicht besucht, weil er sich nicht in ein falsches Licht rücken wollte. Bisher war noch kein Tag für ihren Prozess festgesetzt, aber Phil würde ihn bald ankündigen müssen.
    Der Abendwind fuhr mir durch die Haare. Vom Fenster aus konnte ich oberhalb des Spitzdaches über dem großen Audienzsaal des Königs gerade noch die obersten Fenster des Gefängnisturms ausmachen. Ich meinte, an einem der Fenster eine Gestalt vorbeigehen zu sehen, aber es war so weit entfernt und so dunkel, dass ich mir nicht sicher war.

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