Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
der Karte auf. »Was meinst du damit?«
»Das hier ist … Quarz oder so was. Eine andere Gesteinsart. Innerhalb des Granits.« Als ich mit der Hand darüberfuhr, spürte ich nur eine einzige winzige Unebenheit am Rand der Skizze. »Das hier ist ein natürliches Gebilde!«
Sie gesellte sich zu mir und musterte die Nahtstelle zwischen beiden Gesteinsarten. Ihre Nähe war mir deutlich bewusst, und ich fühlte mich nicht wohl dabei.
»Felsgestein kann manchmal die seltsamsten Dinge hervorbringen«, bemerkte sie. »In Bonduel gibt es sogar einen ganzen Berg, der wie das Profil eines alten Mannes geformt ist. Sieht wie gemeißelt aus, ist aber nur eine Laune der Natur.« Als sie sich zu mir umdrehte, war ihr Gesicht nur wenige Zoll von meinem entfernt. Sie sah mir in die Augen, wandte den Blick kurz ab und dann erneut mir zu. »Die Natur ist wirklich eine starke Kraft.« In ihren haselnussbraunen Augen funkelten goldene Flecken.
»Hieß es nicht, wir sollten uns vor einem weißen Pferd hüten?«, fragte ich leise.
»Nur, wenn eine Frau darauf reitet.« Als sie ihre Lippen befeuchtete, fiel mir auf, wie trocken meine auf einmal
waren. Da mir unsere Nähe zunehmend zu schaffen machte – mein Gesicht brannte geradezu –, ging ich auf Abstand. »Also gut, welche Richtung müssen wir jetzt einschlagen?«
»Die nach Nordwesten«, erwiderte sie hastig und blickte auf die Karte. »Die nächste Markierung finden wir etwa einen Tagesmarsch entfernt, wenn das Gelände nicht noch unwegsamer wird.«
Doch die folgende Route brachte keine besonderen Probleme mit sich, sodass wir die Hälfte der Strecke hinter uns hatten, als die Abenddämmerung uns zwang, das Nachtlager aufzuschlagen. Auf offener Straße hätten wir auch nachts weiterziehen können, aber keiner von uns wollte riskieren, im Dunkeln über unbekannte Gebirgskämme zu klettern oder tiefe Schluchten zu durchqueren. Zum Nächtigen suchten wir uns eine nicht einsehbare Stelle an einem Bach, die auf drei Seiten geschützt war. Wenn wir nur ein kleines Lagerfeuer machten, würde uns hier niemand entdecken.
Mehr als ein Jahrzehnt danach stand ich wieder vor dem Felsenbild. Das Wetter war ein bisschen kühler als damals, aber die Sonne tauchte die Skizze in genauso helles Licht wie an jenem längst vergangenen Tag. Immer noch hob sich der weiße Quarz deutlich von dem dunklen Granit ab. Doch die Silhouette, an die ich mich genau erinnerte, wirkte jetzt … irgendwie verschwommen. Man konnte sie zwar immer noch als Pferdekopf deuten, aber genauso gut hätte es ein Wolfsschädel, ein Schiffsbug oder eine zufällige Zeichnung im Gestein sein können.
Wie vor dreizehn Jahren ließ ich die Hand darübergleiten:
Das Gestein fühlte sich glatt an, wie vom Wetter geschliffen. Nichts deutete auf den Eingriff eines Menschen hin, bestimmt hatte niemand diesen Pferdekopf verändert. Entweder täuschte mich meine Erinnerung oder …
Im Unterschied zu damals waren das müßige Spekulationen. Vor dreizehn Jahren hatte uns das unbekannte Ziel Rätsel aufgegeben, doch mittlerweile wusste ich, wo es lag und was mich dort erwartete.
Kurz darauf stieg ich wieder auf mein Pferd. Ich weiß nicht, wann ich angefangen hatte, es als »mein« Pferd zu betrachten, doch irgendwo zwischen Arentia und diesem Felsen hatte ich die Stute tatsächlich ein bisschen lieb gewonnen. Ich traute ihr zwar noch immer nicht, konnte jedoch wenigstens davon ausgehen, dass sie mir keinen Tritt an den Schädel versetzte, sobald ich mich zum Pinkeln umwandte, und das war ja schon viel! Während wir gemeinsam den besten Weg auskundschafteten, überlegte ich mir einen Namen für sie, fand aber keinen, der eindeutig zu ihr passte.
In der Abenddämmerung erreichten wir den Bach, an dem Kathi und ich damals unser Lager aufgeschlagen hatten. In Anbetracht dessen, was geschehen war, wollte ich auf keinen Fall an derselben Stelle nächtigen, also ritten wir hindurch und zogen so lange weiter, bis mein namenloses Pferd sich weigerte, einen weiteren Schritt im Dunkeln zu machen. Letztendlich spielte es gar keine Rolle, wo ich mein müdes Haupt niederlegte: Die Erinnerungen holten mich an jedem Ort ein.
Es war eine laue Nacht gewesen.
Wie immer breiteten Kathi und ich unsere Schlafsäcke
auf entgegengesetzten Seiten des Lagerfeuers aus. Hellwach lag ich da und blickte zu den Sternen auf. Vom langsam verlöschenden Feuer stiegen kleine Rauchfahnen auf, die sich als graue, ständig wechselnde Gebilde vor dem
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