Das Schwert des Königs: Roman (German Edition)
Rückens reichten. »Na, hat sich das Warten gelohnt?«
»Weiß ich noch nicht. Kannst du sie zum Tanzen bringen?«
»Nicht in nüchternem Zustand.« Sie wandte sich mir wieder zu. »Also, was hältst du davon?«
»Schöne Farben.«
»Und die Leinwand?«
Ich biss mir auf die Lippen. Sah den weiteren Verlauf des Abends deutlich vor mir. Ich würde mich ausziehen und zu ihr in den Bach steigen. Dort würden wir uns lieben, bis das kalte Wasser uns irgendwann ans Ufer trieb. Danach würden wir zum Lagerfeuer zurückkehren und da weitermachen, wo wir aufgehört hatten, bis uns der Schlaf überwältigte. Und morgen früh würde alles zwischen uns verändert sein.
»Auch die Leinwand ist schön«, erwiderte ich schließlich. »Aber eigentlich kenne ich mich nur mit alter Kunst aus.«
Sie platschte auf mich zu und löste dabei kleine Wellen aus. »Manche der jüngeren Werke können ganz schön aufregend sein.«
»Mir sind die klassischen lieber.«
Sie trat aus dem Wasser und baute sich vor mir auf. Ihr weicher Körper glänzte und sah äußerst begehrenswert aus. Obwohl sie für ein Mädchen sehr groß war, musste sie den Kopf schräg nach oben legen, um mich mit diesen großen, arglosen Augen anzusehen, die sich für nichts im Leben schämten. Schließlich lächelte sie. »Auch die Klassiker waren mal neu.«
Ich holte so tief Luft wie seit Jahren nicht. Da legte sie mir die Hand auf die Brust, trat nahe an mich heran und blickte mir forschend in die Augen. »Hast du Lust auf ein
bisschen Kunstgenuss?«, fragte sie leise und stellte sich auf die Zehenspitzen, damit sie mich küssen konnte.
Ich ließ es geschehen, erwiderte den Kuss aber nicht. Als sie sich wieder auf die Fersen niederließ, zog sie ein finsteres Gesicht. »Was ist los?«, fragte sie mit ihrer gewohnt rauen Stimme.
Ich brachte es nicht fertig, sie anzusehen. »Ich bin im Augenblick einfach nicht dazu aufgelegt.«
Sie fasste mich um die Taille und drückte ihren Körper eng an meinen. Sofort war das Lächeln wieder da. »Stimmt ja gar nicht«, schnurrte sie.
»He, das hat nichts mit dir zu tun, der steht immer eine halbe Stunde vor mir auf!« Sofort bedauerte ich die Bemerkung. Selbst im Mondlicht – vielleicht auch wegen des Mondlichts – sah ich, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Mit großen Schritten wich sie an den Bachrand zurück und blieb dort stehen, mit dem Rücken zu mir, die Arme schützend vor sich verschränkt. »Du bist wirklich ein Esel, LaCrosse«, sagte sie mit fester Stimme. »Deine Chance hast du verspielt.«
Mit diesen Worten sprang sie wieder ins Wasser und schwamm davon. Ich seufzte laut auf. Damals wusste ich nicht, ob ich mich wie ein edelmütiger Mensch oder wie der letzte Depp verhalten hatte.
Doch heute weiß ich es.
FÜNFZEHN
A uch die zweite Markierung war eine Pferdekopfsilhouette auf Felsgestein. Um zu diesem Orientierungspunkt zu gelangen, mussten Kathi und ich eine ziemlich gefährliche Strecke überwinden: Der schmale Pfad führte nahe am oberen Rand einer tiefen Schlucht entlang. Außer der Absturzgefahr machten uns auch unsere ständigen Begleiter – spöttische Krähen und stille Bussarde, die uns fortwährend im Auge behielten – schwer zu schaffen. Als wir eine scharfe Kehre passierten, sahen wir uns plötzlich einer Wildkatze gegenüber (oder sie sich uns). Fast hätte ich das Gleichgewicht verloren und wäre abgestürzt, aber Kathi hielt mich im letzten Augenblick fest. Nachdem sich die Wildkatze aus unserem Blickfeld geschlichen hatte, konnten wir den Marsch unbeschadet fortsetzen.
Die Karte hatte keinen Hinweis auf den wachsenden Schwierigkeitsgrad dieser Strecke enthalten, und ich fragte mich, was sie uns noch vorenthielt.
Dem zweiten Pferdekopf gab glänzender schwarzer Obsidian innerhalb eine Fläche aus weißlichem Schiefer Gestalt, während der erste weiß auf schwarz gewesen war. Kathi entdeckte auch, dass, von einer bestimmten Stelle
aus gesehen, ein winziger Spalt das Sonnenlicht reflektierte, und zwar so, dass ein Auge des Pferdes böswillig zu funkeln schien. Auch dieses Pferdebild wirkte wie eine natürliche Zeichnung des Gesteins. Allerdings sprach kaum etwas dafür, dass sich, nur einen Tagesmarsch voneinander entfernt, zwei derart ähnliche natürliche Ablagerungen von Mineralien gebildet haben konnten.
Nachdem wir erneut die Karte zurate gezogen hatten, machten wir uns auf den Weg zur dritten und letzten Markierung.
Den Abend am Bach erwähnte Kathi nie wieder.
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