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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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erwiderte ich: »Du mußt alles Schlechte deiner selbst abgetötet haben. Dein Volk liebt dich.«
    »Darauf kann man sich auch nicht verlassen.« Er hielt inne und blickte aufs Wasser hinaus. »Wir sind arm und wenige, und hätten die Leute in all den Jahren aufeinander gehört …« Er schüttelte den Kopf.
    »Ich bin weit herumgekommen und habe beobachtet, daß Arme oft mehr Verstand und Tugend haben als die Reichen.«
    Er lächelte darüber. »Zu gütig. Aber unsere Leute haben so viel Verstand und Tugend, daß sie umkommen mögen. Wir sind nie recht zahlreich gewesen, und viele sind im letzten Winter gestorben, als der See weit zugefroren ist.«
    »Ich habe nicht bedacht, wie schlimm der Winter für euch sein muß ohne Wolle oder Pelze. Aber jetzt, wo du davon sprichst, leuchtet mir ein, daß er wahrlich hart gewesen sein muß.«
    Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Wir fetten uns ein, was viel hilft, und die Robben liefern uns feinere Mäntel, als die vom Ufer sie haben. Aber wenn das Eis kommt, sitzen unsere Inseln fest, und die vom Ufer brauchen keine Boote, um zu ihnen zu gelangen, und können so mit aller Gewalt über uns herfallen. In jedem Sommer kämpfen wir gegen sie, wenn sie kommen, um unsere Fische zu fangen. Aber im Winter bringen sie uns um, wenn sie auf der Suche nach Sklaven übers Eis kommen.«
    Ich dachte nun an die Klaue, die der Hetman mir abgenommen und in die Burg geschickt hatte. »Die Leute vom Ufer gehorchen dem Burgherrn. Wenn ihr mit ihm Frieden schlösset, würde er ihre Angriffe vielleicht unterbinden.«
    »Früher, als ich noch eine Knabe war, kosteten diese Kämpfe zwei oder drei Tote im Jahr. Dann kam der Burgbauer. Kennst du die Geschichte?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Er kam aus dem Süden, woher, wie ich höre, auch du kommst. Er besaß vieles, was die Leute vom Ufer wollten – Tuch, Silber und gediegenes Werkzeug. Unter seiner Leitung erbauten sie die Burg. Das waren die Väter und Großväter der jetzigen Leute vom Ufer. Sie arbeiteten mit dem Werkzeug für ihn und durften es, wie versprochen, behalten, nachdem der Bau vollendet war, und erhielten noch allerlei anderes dazu. Der Vater meiner Mutter ging zu ihnen, als sie daran arbeiteten, und fragte, ob sie nicht sähen, daß sie damit einen Herrn über sich setzten, denn der Erbauer der Burg könnte beliebig mit ihnen verfahren und sich dann hinter die starken Mauern zurückziehen, die sie für ihn errichteten, wo niemand ihm etwas anhaben könnte. Sie verlachten den Vater meiner Mutter und wandten ein, sie seien viele, was stimmte, und der Erbauer der Burg nur ein einziger, was gleichfalls stimmte.«
    Ich fragte, ob er den Erbauer je zu Gesicht bekommen hätte und wie er, falls ja, aussähe?
    »Einmal. Er stand auf einem Fels und redete zu den Leuten vom Ufer, während ich in meinem Boot vorüberfuhr. Ich sage dir, er war ein kleiner Mann, ein Mann, der dir, wärst du dabeigewesen, kaum bis zur Schulter gereicht hätte. Kein Mann, der einem Furcht einflößt.« Llibio hielt abermals inne, und seine matten Augen schauten nicht die Wasser seines Sees, sondern längst verflossene Zeiten. »Dennoch brach Angst aus. Die Außenmauer war vollendet, und die Leute vom Ufer widmeten sich wieder ihrer Jagd, ihren Reusen und ihren Herden. Dann kam der Höchste von ihnen zu uns und sagte, wir hätten Tiere und Kinder gestohlen, und sie würden uns vernichten, gäben wir sie nicht zurück.«
    Llibio blickte mir unverwandt ins Gesicht und ergriff meine Hand mit der seinen, die hart wie Holz war. Als ich ihn so sah, sah ich die verstrichenen Jahre gleichfalls. Sie waren wohl grimmig genug gewesen, obwohl die Zukunft, die sie ausgebrütet hatten – die Zukunft, in der ich, das Schwert überm Schoß, bei ihm saß und seiner Geschichte lauschte –, grimmiger schien, als er damals geahnt hätte. Dennoch hatten ihm diese Jahre auch viel Freude beschert; er war ein starker Jüngling gewesen, und obzwar er dieses nun nicht bedachte, erinnerten seine Augen daran.
    »Wir entgegneten ihnen, wir fräßen keine Kinder und brauchten keine Sklaven, die für uns fischten, wie wir auch keine Weiden für Vieh besäßen. Und sie konnten sich wohl denken, daß nicht wir es waren, denn sie erklärten uns nicht den Krieg. Aber wenn sich unsere Inseln dem Ufer näherten, hörten wir das Klagen ihrer Weiber durch die Nacht.
    Zu jenen Zeiten wurde an jedem Tag nach Vollmond ein Markt abgehalten, wo diejenigen von uns, die wollten, an Land gehen und Salz

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