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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Zusätzlich zu den Inseln verfügten wir über etwa dreißig Boote, jeweils mit einer zwei- bis dreiköpfigen Mannschaft versehen.
    Ich gab mich nicht dem Wahn hin, unsere hundert Mann mit ihren Messern und Fischspeeren seien eine gewaltige Streitmacht; eine Handvoll von Abdiesus’ Dimarchi hätte sie wie Spreu zerstreut. Aber sie sind meine Krieger gewesen, und ein eigenes Heer ins Feld zu führen ist ein Gefühl wie kein anderes.
    Es zeigte sich kein Schimmer auf dem Wasser des Sees bis auf jene Stellen, wo sich grün das Licht spiegelte, das von den unzähligen Blättern der Wälder Lunas aus fünfzigtausend Meilen Entfernung herniederfiel. Das Seewasser erinnerte mich an Stahl, polierten, geölten Stahl. Der schwache Wind schlug keine weißen Schaumkronen, obschon er in die Oberfläche lange Täler zwischen die eisernen Hügel grub.
    Nach einer Weile bedeckte eine Wolke den Mond, so daß ich Bedenken bekam, ob die Leute vom See in der Dunkelheit nicht die Orientierung verlören. Es hätte allerdings helllichter Tag sein können, so sicher steuerten sie ihre Gefährte, und obgleich Boote und Inseln sich oft recht nahe kamen, konnte ich auf dem ganzen Weg nicht ein einziges Mal feststellen, daß ein Zusammenstoß gedroht hätte.
    Eine Seefahrt wie diese bei Sternenschein in dunkler Nacht – inmitten meines eigenen Archipels, lautlos bis auf das Flüstern des Windes und Plätschern der Paddel, die regelmäßig wie das Ticken einer Uhr eintauchten, und ohne daß eine andere Bewegung als das sanfte Schaukeln der Wellen zu spüren gewesen wäre – hätte eine beruhigende, gar einschläfernde Wirkung haben müssen, denn ich war müde, obgleich ich mich vor dem Aufbruch ein wenig hingelegt hatte; aber die kühle Nachtluft und die Spannung, mit der ich dem Bevorstehenden entgegenharrte, hielten mich hellwach.
    Weder Llibio noch einer der anderen hatte mir nähere Einzelheiten über das Innere der Burg, die wir stürmen wollten, schildern können. Es gab ein Hauptgebäude und eine Mauer. Ob das Hauptgebäude ein richtiger Bergfried – das heißt, wehrhafter Turm, der die Mauern überragte – wäre, das konnte mir niemand sagen. Auch wußte ich nicht, ob es noch Nebengebäude (zum Beispiel ein Vorwerk) gäbe oder die Mauer durch Türme oder Erker gesichert wäre, und wie viele Verteidiger sie aufzubieten hätte. Die Burg war innerhalb von zwei bis drei Jahren mit hiesigen Arbeitern erbaut worden; sie konnte also nicht so schrecklich wie etwa Burg Acies sein; aber für uns wäre sogar ein Ort mit nur einem Viertel ihrer Stärke uneinnehmbar.
    Ich wurde immer deutlicher gewahr, wie wenig ich geeignet sei, einen solchen Feldzug anzuführen. Ich hatte noch nicht einmal eine Schlacht gesehen, geschweige denn eine geschlagen. Mein Wissen um militärische Dinge stammte aus meiner Kindheit und Jugend in der Zitadelle und von gelegentlichen Besichtigungsgängen durch die Wehranlagen zu Thrax, und was ich über Taktik wußte – oder zu wissen glaubte –, hatte ich gelegentlich in Büchern aufgelesen. Ich erinnerte mich daran, wie ich als Knabe in unserer Nekropolis gespielt und mit Holzschwertern Scheingefechte ausgetragen hatte, und beim Gedanken daran wurde mir schier übel. Nicht weil ich sehr um mein Leben bangte, sondern weil ich wußte, daß ein Fehler von mir den Tod der meisten dieser unschuldigen und einfältigen Männer, die zu mir als ihrem Führer aufschauten, zur Folge hätte.
    Nun schien wieder der Mond, vor den sich die schwarze Silhouette eines Storchenzugs schob. Ich konnte am Horizont das Ufer als tiefschwarzes Band erkennen. Eine neue Wolkenbank schnitt das Licht ab, und ein Wassertropfen klatschte mir ins Gesicht. Das stimmte mich mit einemmal heiter, ohne daß ich gewußt hätte, warum – sicherlich war der Grund dafür, daß ich unbewußt an den Regen jener Nacht erinnert wurde, in der ich uns den Alzabo vom Leib gehalten hatte. Vielleicht dachte ich auch an das eisige Wasser, das sich aus der Mine der Menschenaffen ergoß.
    Ungeachtet dieser zufälligen Gedankensprünge war der Regen für uns ein wahrer Segen. Wir hatten keine Bögen, und wenn er die Bogensehnen unserer Widersacher durchweichte, wär’s um so besser. Bestimmt vereitelte der Regen auch den Einsatz der Feuerkugeln, wie der Schütze des Hetmans sie verschossen hatte. Obendrein würde er unserem heimlichen Überfall Deckung gewähren, und daß wir nur durch einen heimlichen Angriff Erfolg haben könnten, das stand für mich längst außer

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